Dossier

Die Akte Hess


1 "Diese Hängepartie ist für alle Seiten unwürdig"

Die Insolvenzverwalter Volker Grub und Martin Mucha ziehen fünf Jahre nach der Insolvenz Bilanz des Hess-Verfahrens: Die Causa Hess ist soweit abgeschlossen, befriedigend finden beide das Ergebnis nicht – das hat mit dem Versagen des Rechtsstaats zu tun

Foto: Jigal Fichtner für econo

Villingen-Schwenningen/Stuttgart. Herr Grub, Herr Mucha, wissen Sie noch, was Sie gemacht haben, als Sie vor fünf Jahren die Nachricht von der Hess-Insolvenz erreicht hat?

Martin Mucha:
Ich war im Büro, bin dann gleich nach dem Anruf ins Auto gesessen und zum Amtsgericht nach Villingen-Schwenningen gefahren. Der Richter hatte angekündigt, sofort eine Entscheidung zu fällen und ich sollte die Akte gleich mitnehmen. Es hat sich dann doch noch hingezogen und ich wollte einen Kaffee trinken gehen – was während der Fastnacht in der Villinger Innenstadt nicht einfach ist (lacht). Zwischenzeitlich lief im Radio schon die Nachricht über die Insolvenz. Insofern war es eine komische Situation. Kurze Zeit später war ich dann im Unternehmen und habe das reine Chaos mit komplett verunsicherten Mitarbeitern vorgefunden.

Volker Grub: Im Unternehmen war wirklich totale Unruhe und ein großes Durcheinander, da inzwischen auch schon die Polizei eingetroffen war.

Die Wochen davor waren mit der Entlassung der Vorstände Christoph Hess und Peter Ziegler ja bereits turbulent.

Grub:
Richtig. Das Entscheidende war zu diesem Zeitpunkt aber: Es kam ein Beratungsunternehmen, das sämtliche elektronischen Unterlagen und Sicherungskopien der vergangenen sechs Jahre gesichert hat. Das war der wichtigste Vorgang! Die Führungspersonen haben ja keine Briefe geschrieben oder Akten angelegt, mit denen die Vorgänge dokumentiert worden wären. Alles ging per E-Mail. Aber man hat offensichtlich nicht damit gerechnet, wie viele Vorgänge sich dank der Datensicherung dennoch rekonstruieren ließen.

War Ihnen das Unternehmen Hess zuvor bekannt?

Mucha:
Ja, es war mir bekannt.

Grub: Das Unternehmen selbst nicht. Aber den Aufsichtsratsvorsitzenden Jürgen G. Hess habe ich kennengelernt, als ich Verwalter eines kleinen Dachdeckerbetriebs aus Villingen war. Er kam auf uns zu und hat das Unternehmen mit 25.000 Euro unterstützt, damit weitergearbeitet werden konnte. Damals war ich echt froh.

Die Pleite von Hess ist jetzt fünf Jahre her. Wo steht die Aufarbeitung?

Grub:
Die Firma ist abgewickelt, das Vermögen verwertet. Der Kern das Unternehmens wurde an Nordeon verkauft und arbeitet heute erfolgreich. Bis auf drei Gerichtsprozesse ist alles erledigt. Wir erreichen eine Insolvenzquote von 15 Prozent, haben sieben Prozent ausgeschüttet und Schulden in Höhe von 100 Millionen Euro.

Was ist mit den einzelnen Unternehmen aus der sogenannten Schattenwelt?

Grub:
Die allermeisten sind ebenfalls abgewickelt.

Aber nicht alle?

Grub:
Einzelne bestehen weiter, wie die AMW Präzisionstechnik, die inzwischen Z 2 heißt und einer Angehörigen eines ehemaligen Hess-Vorstands gehört. Ich habe Ihnen eine Auflistung erstellt, aus der alle Details ersichtlich sind (holt ein A3-Blatt hervor und erläutert die Aufstellung, A.d.R.). Die allermeisten Unternehmen sind liquidiert, manche auch an Nordeon verkauft. Nur zu zwei Unternehmen, der Vulkan Schweiz und der Vulkan Iluminacion aus San José, Costa Rica, gibt es keine weiteren Unterlagen, die sind insoweit unbekannt.

Sie haben vorhin die Gerichtsprozesse angesprochen. Wie ist da der Stand?

Grub:
Wie gesagt haben wir noch drei Zivilprozesse anhängig. Erstens mit Jürgen G. Hess als ehemaligem Aufsichtsratsvorsitzenden: Er macht Pensionsansprüche über 2,4 Millionen Euro geltend und hatte sich ein Wertpapierdepot übereignen lassen. Daraus wollte er von uns eine monatliche Auszahlung der Ansprüche erreichen. Dagegen haben wir geklagt und Recht bekommen, da der Aufsichtsrat damals einen Formfehler begangen hat. Zudem hatte Herr Hess die 2,4 Millionen Euro zur Insolvenztabelle angemeldet und möchte nun die Quote von 15 Prozent ausbezahlt haben. Das haben wir bestritten, dagegen hat er wiederum vor dem Arbeitsgericht geklagt. Vor dem Landesarbeitsgericht hat er Recht bekommen, das Bundesarbeitsgericht hat das Urteil aufgehoben und nach vier Jahren Verfahrenszeit hat das Landesarbeitsgericht ganz aktuell wieder im Sinne von Herrn Hess geurteilt. Wir prüfen, ob wir erneut gegen das Urteil vorgehen.

Da braucht man Geduld... Was ist mit den anderen beiden Prozessen?

Grub:
Der zweite Prozess ist ein Rechtsstreit gegen die Herren Christoph Hess und Peter Ziegler über zwei Millionen Euro als Teilbetrag eines Schadens von 85 Millionen Euro.

Warum nur ein Teilbetrag?

Grub:
Wir sind der Meinung, wir können ohnehin nicht viel holen. Nach vier Jahren Prozessdauer haben wir aktuell ein obsiegendes Urteil vor dem Landgericht Konstanz erreicht. Die beiden sind wegen des Kaufs einer Gesellschaft zu einem überhöhten Preis zu Schadensersatz verurteilt worden. Dagegen haben beide Berufung vor dem Oberlandesgericht in Karlsruhe eingelegt. Mal schauen, wie viele Jahre wir jetzt wieder warten. Aber wir machen jetzt schon einmal Sicherungsvollstreckungen, um die Ansprüche sicher zu stellen.

Dann fehlt noch der dritte Prozess...

Mucha:
Dabei geht es um den Kauf eines Grundstücks in Löbau zu einem überhöhten Preis von der K+K Objekt GmbH. Nach vier Jahren haben wir da nun ebenfalls ein obsiegendes Urteil gegen die Herren Hess und Ziegler erreicht und uns wurden die eingeklagten 500.000 Euro zugesprochen. Allerdings geht auch dieser Prozess in die zweite Runde.

Grub: Unabhängig davon gibt es noch einen Rechtsstreit des ehemaligen Investors HPE gegen die Herren Hess und Ziegler, bei dem drei Millionen Euro geltend gemacht wurden. Hier gab es vor zwei Jahren bereits ebenfalls ein obsiegendes Urteil vor dem Landgericht in Konstanz, gegen das wiederum Berufung eingelegt wurde. Auch dieser Rechtsstreit ruht derzeit selig vor dem Oberlandesgericht.

In der bisherigen Auflistung fehlt aber ein Prozeß, den Sie als "Präzedenzfall" für die Schattenwelt beschrieben haben.

Grub:
Richtig, das ist der Rechtsstreit Haas. Der Vorgang ist eigentlich relativ einfach: Bei der Hess Lichttechnik in Löbau standen drei Maschinen, die waren mehr als 15 Jahre alt, bilanziell abgeschrieben und nur auf einer wurde noch produziert. Diese Maschinen wurden an die Gif Metallguss für 20.000 Euro verkauft. An der Gif war Hess mit 20 Prozent beteiligt. Die Gif hat die Maschinen für 280.000 Euro an eine Firma Haas Werkzeugmaschinen in Villingen-Schwenningen weiterveräußert. Haas schließlich hat die Maschinen mit einem Aufpreis von 5000 Euro weiter an die Hess AG verkauft. Die Maschinen blieben dabei die ganze Zeit in Löbau, gingen aber ins Inventarverzeichnis der AG ein. Die AG hat dann bei der Deutschen Bank diese Maschinen mit dem Verkaufswert von 295.000 Euro als Sicherheit angegeben.

Da wurden die Maschinen aber ziemlich aufgearbeitet...

Grub:
(lacht) An den Maschinen ist nichts aufgearbeitet worden! Deshalb waren wir der Meinung, dass die Hess AG um 290.000 Euro ärmer wurde und es sich um eine verdeckte Einlage gehandelt hat. Aus diesem Grund haben wir die Firma Haas sowie den Vorstand Peter Ziegler unter anderem wegen pflichtwidrigen Handelns in die Pflicht nehmen wollen. Das Landgericht in Konstanz hat die Klage aber rundweg abgelehnt. Wir sind dann zum Oberlandesgericht und das hat schließlich festgestellt: Die Firma Haas müsse nur den Betrag herausgeben, um den sie sich bereichert hatte und Herr Ziegler hätte mit dem Einverständnis des Aufsichtsrates generell die Firma Gif unterstützen dürfen (lacht).

Sie wirken nicht verbittert. Es war doch Ihr Präzedenzfall?

Grub:
Nein, verbittert bin ich nicht. Die Geschichte ist zwar einfach und simpel. Aber einem Richter, der von Bilanzen nichts versteht das zu verdeutlich, ist schwer. Das Ziel der Bilanzmanipulation ist dabei doch eigentlich klar erkennbar. Am Ende haben wir die Maschinen versteigert: 20.000 Euro haben die noch gebracht! Übrigens: Dieser Rechtsstreit wurde in ein neues Fachbuch über Bilanzskandale aufgenommen, von dem ich vorher keine Kenntnis hatte. Die Autoren kommen darin zum Schluss, der beschriebene Vorgang sei ein typischer Fall von Bilanzfälschung.

Mucha: Oder nehmen Sie den Fall mit dem Areal in Löbau, das ist ein ganz klassisches Kreisgeschäft. Die K+K Objekt hat das Grundstück in die Schattenwelt eingespielt und hat 500.000 Euro abgeschöpft. Eigentlich ist auch hier alles ganz simpel, aber der Rechtsstreit ist eben noch nicht zu Ende.

Die Leserbriefe in den Tageszeitungen zeichnen ein ganz anderes Bild...

Grub:
Ich hab das offen gestanden nicht intensiv verfolgt.

Mucha: Manche der Schreiber sind da wirklich rührig und man kommt leicht ins Grübeln, ob die Autoren von interessierter Seite unterstützt werden oder ob Pseudonyme verwendet werden. Auf alle Fälle sind viele Fake-News in dem Zusammenhang unterwegs.

Nach dem Sie sich jahrelang mit der Materie befasst haben: Verstehen Sie nun, wie die Vorstände und die anderen Beteiligten jahrelang so haben wirtschaften können?

Grub:
Ja, das kann ich nachvollziehen. Das waren wirklich hervorragende Blender! Denen ist es bezogen auf den Börsengang gelungen, für wenige Monate den Eindruck einer hochinnovativen Firma zu vermitteln. Darauf haben sie alles ausgerichtet. Allein im Jahr vor dem Börsengang haben sie 50 neue Mitarbeiter eingestellt, obwohl der Umsatz rückgängig war. Sie haben dann mit der Firma Emdelight und Aufträgen im Architekturbereich im arabischen Raum den Eindruck erweckt, als ob sie das zukunftsfähige Geschäftsmodell gefunden haben. Die haben um kleine Aufträge für einzelne Leuchten ganze Geschichten herum gestrickt.
Zusätzlich haben sie nicht nur auf die LED-Technik gesetzt, was vollkommen richtig war, sondern sind auch in den OLED-Bereich vorgestoßen und wollten damit sogar die herkömmliche Glühbirne ersetzen! Ich habe während des Verfahrens beim Forschungspartner von Hess den Prototypen in der Hand gehabt - von der Leuchtkraft her hätte man als Ersatz für eine 25 Watt-Birne ein Leuchtmittel von der Größe ein Fußballs einbauen müssen (lacht). Daraufhin haben wir den Bereich eingestellt. Wir konnten die Technologie noch nicht einmal verkaufen.

Die Blenderei, die Sie beschreiben, die hat was mit Marketing und schönen Bildern zu tun. Aber was ist mit den Zahlen? Wie dreht man hochbezahlten Spezialisten eine Nase? Im Rahmen eines Börsengangs wird doch eigentlich alles auf links gedreht.

Grub:
Darauf habe ich ehrlich gesagt auch keine befriedigende Antwort. Zunächst hat eine Wirtschaftsprüfungskanzlei in Heidelberg wohl kalte Füße bekommen. Daraufhin hat man ein Jahr vor dem Börsengang die Prüfer gewechselt und eine kleine Gesellschaft mit vier Leuten aus Karlsruhe an Land gezogen. Die kamen dann für zwei Wochen nach Villingen und haben alle Firmen durchgeprüft. Denen ist natürlich alles entgangen, die waren schlicht überfordert von dem Firmenkonstrukt. Die Karlsruher kamen über einen freundschaftlichen Kontakt aus einer großen Beratungsgesellschaft ins Haus Hess. Dieser Kontakt musste am Ende auch seinen Hut nehmen und hat sich in Oberschwaben selbstständig gemacht. Kurzum: Man hat sich eben die Leute gekauft.

Beim Börsengang schauen aber nicht nur die bezahlten Leute drauf...

Grub:
Das ist richtig. Für die Banken war die ganze Geschichte natürlich kein Ruhmesblatt! Aber ein Teil der Beteiligten wollte schlicht diesen Börsengang. Punkt. Und speziell bei der LBBW war das nicht der erste Fehltritt. Wenige Jahre zuvor gab es die Pleite des Maschinenbauers Rohwedder aus Markdorf, der ebenfalls nach dem Börsengang mit der LBBW pleite gegangen ist, dazu gibt es weitere Fälle.

Ist das Gebaren der LBBW mit ein Grund gewesen, weshalb regionale Banken beim Börsengang eher zurückhaltend waren, was Kaufempfehlungen der Hess-Aktie anging?

Grub:
Mit Sicherheit. Aber auch bei der LBBW hat man sich dann aus dem Geschäftsfeld zurückgezogen. Der damalige Chef Hans-Jörg Vetter hat als Konsequenz die Weichen neu gestellt.

Könnte man unterstellen, dass interessierte Kreise den Börsengang von Hess forciert haben, um mit dem Geld Kredite retten zu können?

Grub:
Nein, das sehe ich nicht. Hier kamen tatsächlich zwei Komponenten zusammen, die gemeinsam eine ungeheure Dynamik entfalten haben. Einerseits die Hess-Leute und andererseits die Abteilung der LBBW. Man wollte den Erfolg, egal wie!

Ein Gerichtstermin steht aber immer noch aus: Der Strafprozess gegen die ehemaligen Vorstände und Personen aus deren Umfeld.

Grub:
Die Anklageschrift liegt seit einiger Zeit vor. Aber bei der zuständigen Wirtschaftskammer am Landgericht Mannheim schläft man selig darüber (lacht). Die zuständige Richterin spricht von Überforderung, zieht Haftsachen vor. Das soll kein Vorwurf gegen die Richterin sein: Es ist das große Versagen unseres Rechtsstaates, dass die Justiz auf allen Ebenen nicht richtig ausgestattet wird!

Rechnen Sie für das laufende Jahr noch mit Bewegung in dem Fall?

Grub:
Nein. Irgendwie verliert das Verfahren auch an Bedeutung. Die Gerechtigkeit hat an anderer Stelle schon Einzug gehalten.

Mucha: Was wir machen konnten, das haben wir getan. Wir haben zugearbeitet und unterstützt, intensiv nachgefragt, Unterlagen zusammengestellt und standen sogar mit dem Justizminister in Kontakt, um Bewegung reinzubekommen. Es liegt eine glasklare Anklageschrift vor, dazu die Verurteilungen in Zivilsachen. Die Lage ist eigentlich eindeutig, aber still ruht der See. Mehr können wir echt nicht tun.

Verfolgen Sie noch den Werdegang der einzelnen Protagonisten in der Causa Hess?

Grub:
Nur am Rande, beispielsweise durch die Zwangsvollstreckungen.

Wie bewerten Sie, dass einer der ehemaligen Vorstände heute wieder als Vorstand tätig ist?

Grub:
Er ist ja nicht verurteilt.

Mucha: Im Grund zeigt sich hier die Auswirkung des Staatsversagens: Wäre er schon verurteilt, dann dürfte er den Posten nicht mehr besetzen. Der Fall Hess müsste schon längst abgeurteilt sein! Natürlich auch im Sinne der handelnden Personen, die sich ja in ihrem neuen Leben einrichten und dann irgendwann nach Jahren doch noch herangezogen werden. Diese Hängepartie ist für alle Seiten unwürdig.

Also die Bilanz nach fünf Jahren lautet: Die Causa Hess ist soweit abgeschlossen, aber richtig befriedigend ist das Ergebnis nicht?

Grub:
Richtig, es fehlt die letztendliche Gerechtigkeit. Die kleinen Unternehmen, die Handwerker, die auch irgendwie von dem System Hess profitiert haben, die wurden alle abgeurteilt, haben die Strafbefehle akzeptiert. Die anderen leben derweil ihr Leben weiter. Das ist das Unbefriedigende.

Sind die großen Player geschickter?

Mucha:
Deren Verfahren sind einfach komplexer, die Anwälte sind ausgefuchster - denn trotz allem können sich die Verantwortlichen noch Kanzleien mit klingenden Namen leisten, die in dicken Schriftsätzen Nebelkerzen verstecken.

Herr Grub, Herr Mucha, herzlichen Dank für das Gespräch!

Martin Mucha
ist seit dem Jahr 2000 für die Kanzlei Grub Brugger tätig, fünf Jahre später wurde der Fachanwalt für Insolvenzrecht Partner. Der Skifahrer und Jogger begleitete unter anderem die Verfahren von Doll Fahrzeugbau, dem Bodenbelagshersteller DLW und dem Maschinenbauer Mathias Bäuerle.

Volker Grub (Foto links) legte im Jahr 1965 den Grundstein für die Kanzlei Grub Brugger in Stuttgart und hat sich seitdem einen Legendenstatus erarbeitet. So hat der Musikliebhaber im Verlauf der Jahre gut 500 Verfahren begleitet, unter anderem bei den Unternehmen Bauknecht, Märklin, Salamander und Südmilch. Zudem gilt er als einer der Väter des modernen Insolvenzrechts. Ein Porträt über Grub finden Sie übrigens hier.

Das Interview wurde im Februar 2018 geführt.

2 Spiel mir das Lied von Hess

Die spektakuläre Pleite der Hess AG ist spannend wie ein Drehbuch. Econo zeichnet im Juli 2013 erstmals alle Hintergründe nach

Foto: econo

Villingen-Schwenningen. Die Vorstellung ist filmreif. Zwei Vorstände aus dem Schwarzwald führen Banken und Wirtschaftsprüfer vor, narren die internationale Finanzelite, legen trotz Überschuldung einen Börsengang hin. Das Ziel: Die Vollendung ihrer Unternehmensvision! Sie wollen zu den weltweit technologisch und gestalterisch führenden Anbietern von Leuchten gehören!

Die Story laut Drehbuch: finanziell Vollgas geben — wenn es gut geht, gibt's Applaus satt.

Es ging nicht gut. Die Hess AG, von der hier die Rede ist, ist bekanntlich spektakulär gescheitert. Doch die Frage bleibt: Wie war das alles möglich? Haben Banken und Buchprüfer die Augen verschlossen? Nein, sagt Insolvenzverwalter Volker Grub: "Gegen Betrug ist man nicht gefeit." Deshalb fordert er Konsequenzen für die allgemeine Prüfungspraxis.

Fasst man die aktuellen Econo-Informationen zusammen, ist es schlicht so: Finanzvorstand Peter Ziegler hat tatsächlich die Finanzelite an der Nase herumgeführt.

Die Darsteller. Um aber die Frage nach dem Wie abschließend klären zu können, muss man sich zunächst noch ein,al die Protagonisten in diesem Wirtschaftskrimi sowie ihr Verhältnis untereinander vor Augen führen:

– Christoph Hess, der Sohn von Jürgen Georges Hess, ist seit 1999 im Unternehmen, kommt nach dem BWL-Studium. Er ist der Repräsentant nach außen – nach innen spielt er kaum eine Rolle. Die Fäden laufen nach Informationen von Econo weiter bei seinem Vater zusammen. Und der gibt auch die Direktive aus: Im Zweifel sollen alle lieber auf Peter Ziegler hören.

– Peter Ziegler wechselte 2006 zu Hess, ist seit 2009 Finanzvorstand. Er gilt als eloquent und ausgewiesener Finanzfachmann. Insolvenzverwalter Grub bezeichnet ihn als "cleveren Kerl, der leider falsch gepolt ist." Ziegler ist derjenige, der wohl durch immer neue Winkelzüge die "Schattenwelt" – ein schier unübersichtliches Konstrukt größtenteils aus Briefkastenfirmen – von Hess ausbaut und dem Familienunternehmen Liquidität sichert.

– Jürgen Georges Hess ist der Sohn des Firmengründers und hat aus der kleinen Gießerei in VS-Villingen ein anerkanntes Unternehmen für Beleuchtung und Stadtmobiliar geformt. Seit dem 21. Oktober 2011 hatte er zudem über seine Hess Consulting einen Dienstleistungsvertrag mit Hess. Der Inhalt: Jürgen Hess betreut Messen, Kunden, er repräsentiert. Die Vergütung beträgt pro Jahr 80.000 Euro – plus Reisespesen, da in seinem Vertrag gleich drei Dienstsitze, zwei in den USA, einer in VS-Villingen, hinterlegt sind.

Für Vertrag und Spesen interessiert sich inzwischen das Finanzamt, in daumendicken Unterlagen listet es Fragestellungen rund um Reisen, Wein- und Fleischeinkäufe auf. Alles in allem geht es um einen strittigen Wert von 800.000 Euro. Es soll nicht das erste Mal sein, dass Hess Stress mit dem Finanzamt hat.

– Kirsten Bohr, genannt "Kiki", stößt 2011 in die "Schattenwelt" vor. Sie steht bei vielen Gründungen Pate, rühmt sich ihrer Kontakte und ist Geschäftsführerin der K+K Objekt mit Sitz in Essen, einer entscheidenden Scheinfirma aus dem Konstrukt.

Bis heute laufen bei ihr viele Fäden zusammen und Kenner werfen ihr vor, den Fortbestand von Hess zu behindern. Unter anderem, weil Guss-Werkzeuge zurückgehalten oder Eigentumsrechte an Grundstücken nicht geklärt werden können.

Der Hauptfilm.
Vater und Sohn Hess sowie Ziegler sind von ihrer Version des Technologieführeres Hess von Herzen überzeugt. Die Strategie lautet: entweder ganz vorne sein – oder Untergang. Wie sehr sie an ihr Ziel glauben belegt ein Organigramm über die Struktur der AG ab 2013, das Econo exklusiv vorliegt: Für ein Unternehmen, das nach aktueller Prüfung 2012 einen Umsatz von 47,3 Millionen Euro verbuchte und einen Verlust von 14,1 Millionen Euro anhäufte, eine imposante Aufstellung!

Ein weiterer Beleg: Man stellte mindestens 50 Mitarbeiter ein, für die man gar keine Verwendung hatte. Und plante große bauliche Veränderungen am Stammsitz, der Architekt verschob sogar seinen Sommerurlaub 2012, um Planungen voranzutreiben, die dann plötzlich in der Schublade verschwanden – und er wartet bis heute aufs Honorar.

Denn die Umsetzung der Vision kostete Geld, viel Geld. Zwischen 2009 und 2011 finanzierte sich Hess durch immer neue Kredite, 2011 stieg der Finanzinvestor HPE mit 14 Millionen Euro ein — von denen sieben Millionen über die Hess Grundstück an die Familie weitergeflossen sein sollen.

Ohnehin wäre eine Verquickung von privaten und AG-Interessen eine eigene filmreife Story, wie erst jüngst mehrere Handwerksunternehmens nach Besuchen von Ermittlern zu spüren bekamen.

Im September 2012 gab als letzten Kredit noch die Ostsächsische Sparkasse ein Darlehen über vier Millionen Euro. Der Börsengang im Oktober brachte Hess 35 Millionen Euro ein, von denen die Familie ebenso mit Millionen profitiert haben soll wie einige Gläubiger und mit sechs Millionen Euro die am Börsengang beteiligten Banken und Prüfer. Der Börsengang soll laut Kennern die letzte Chance auf Liquidität gewesen sein – die AG "verbrannte" pro Monat drei Millionen Euro!

Insolvenzverwalter Grub summierte am Ende 105 Millionen Euro ab Verbindlichkeiten, die AG war abzüglich des Zeitwerts bei Fortführung mit 72 Millionen Euro überschuldet.

Nebendarsteller. Um an neue Gelder zu gelangen, nutzt Peter Ziegler einen schlichten Kniff: Die AG sowie die mit ihr verbundenen Unternehmen schrieben kräftig Rechnungen an die "Schattenwelt". Übrigens: Laut Kennern ist der Begriff der Belegschaft der AG schon lange vor der Insolvenz geläufig. Da die "Schattenwelt" natürlich nicht zum Konsolidierungskreis der AG zählt, treibt das die Bilanz in die Höhe, die Kreditwürdigkeit steigt. Die Eloquenz von Ziegler tat ihr Übriges: "Der konnte alles plausibel erklären, selbst die horrende Schuldensituation", so ein Kenner zu Econo.

Ein Beispiel: An das Hess-Grundstück in Löbau grenzte direkt eines, das von der AG für 500.000 Euro gekauft wurde. Wenig später wurde es an die K+K Objekt für eine Million Euro weiterverkauft. Ziegler soll per Mail den Anstoß zur Gründung der K+K Objekt gegeben haben. Firmensitz ist eine Privatwohnung in einem runtergekommenen Altbau in Essen. Wegen dieses Deals läuft jetzt gegen Christoph Hess, Ziegler und die K+K Objekt eine Schadensersatzklage über 500.000 Euro.

Ein weiteres Beispiel: Eine Werkzeugmaschine wird munter zwischen den Hess AG, verbundenen Unternehmen und der "Schattenwelt" hin und her verkauft. Der Wert steigt– die Maschine indes verlässt nie das Werk. Auch hier läuft eine Schadensersatzklage über 278.000 Euro gegen Ziegler sowie eine Werkzeugmaschinenfabrik in Villingen-Schwenningen.

Spezialeffekte. Zur technologischen Führerschaft im Leuchtensegment gehört zwingend das Thema LED. Auch Hess treibt hier Innovationen voran, übernimmt die auf effektvolle Architekturbeleuchtung spezialisierte Emdelight und stattet die Emdeoled mit reichlich Kapital aus.

Überhaupt gibt man bei der AG für die LEG- und die noch zukunftsträchtigere Oled-Technologie im Verhältnis mehr F&E-Mittel aus als manch Konzern. Millionenbeträge sollen es gewesen sein. So auch für ein Emdelight-Patent, um LED-/Oled-Leuchten in normale Glühbirnenfassungen eindrehen zu können. Die Entwicklung zieht sich über Jahre hin, kostet Hunderttausende Euro und am Ende hat man es geschafft, ein Äquivalent für eine 40-Watt-Birne in die Fassung schrauben zu können. Einziger Schönheitsfehler: Die "Birne" ist groß wie ein Fußball…

Überhaupt Emdelight. Für ein Projekt im arabischen Raum zur Beleuchtung eines prestigeträchtigen Hochhauses musste man nach Econo-Informationen acht Millionen Euro an Forderungen abschreiben. Die Leuchten waren schlicht Pfusch.

Schlimmer noch: Die von Hess und Ziegler nach deren Rauswurf als Vorstände Anfang des Jahres ins Feld geführten Aufträge in dreistelliger Millionenhöhe aus dem arabischen Raum sind Luftnummern. Die Scheichs wollen laut Kennern nichts mehr mit Hess-Produkten zu tun haben.

Showdown. Econo hat den Protagonisten Gelegenheit gegeben, auf die Anwürfe zu reagieren. Ziegler lehnte ab, er bereite sich auf die Klagen vor. Zusätzlich wird Grub in nämlich noch unter anderem wegen Untreue auf zwei Millionen Euro verklagen. Das wird auch Christoph Hess treffen.

Der reagierte zunächst nicht auf die Econo-Anfrage, um dann doch einen Fragenkatalog anzufordern, den Termin für Abgabe der Antworten zu verschieben, um schlussendlich am Tag des Redaktionsschlusses zum Gespräch bei seinem Steuerberater zu laden – und den Termin dann kurz vor knapp platzen zu lassen. Die Kurzfassung der Begründung: Der Fragenkatalog sei zu aufwändig.

Abspann. Das "normale Geschäft" hat die insolvente AG inzwischen an eine neu gegründete GmbH ausgelagert, obschon noch keine Assets übertragen wurden. Und das von Andreas R. Budde geführte Unternehmen hat einen fulminanten Start hingelegt. Man kann es so sagen: Die Kunden haben wieder Vertrauen. Der Auftragsbestand lag bei Redaktionsschluss bei 17 Millionen Euro, 60 Prozent davon stammen aus Deutschland. Für 2013 erwartet Budde einen Umsatz von 32 Millionen Euro, 2014 wolle er das "deutlich toppen". Zur Leitmesse Light + Building im März 2014 will die neue Hess sogar mit einer eigenen Leuchtenlinie punkten – und stellt jetzt am Stammsitz Mitarbeiter ein. Wenn das trotz der Schließung des Werks Löbau kein Happy End ist.

3 Das System Hess

Wie kam es zu den Bilanzmanipulationen bei dem Leuchtenhersteller? Econo gab im März 2013 als erstes Medium einen (fast) vollständigen Einblick in das verzweigte Firmennetzwerk

Foto: PR

Villingen-Schwenningen. Das Bild zeigt eine attraktive Dame mittleren Alters mit Kurzhaarschnitt. Sie träge ein Dirndl, die Bluse ist offenherzig. Offensichtlich eine lebensfrohe Person, die in einem Schützenverein am Bodensee aktiv ist und golft. Die Dame heiß Kirsten Bohr und bietet mit diesem Bild in einem Geschäftsnetzwerk ihre Dienste an: "Gründung von CH-Gesellschaften mit Treuhandfunktion…"

Kirsten Bohr spielt nach Recherchen von Econo eine Schlüsselrolle im System Hess, auch sie soll im Visier der Staatsanwaltschaft sein.

Das System Hess – seit dem Rauswurf von Christoph Hess und Peter Ziegler aus dem Vorstand des renommierten Leuchtenhersteller Hess aus VS-Villingen Ende Januar ist viel darüber spekuliert worden: Wie haben die beiden gemäß den Vorwürfen die Bilanzen der AG mittels fingierten Rechnungen an Strohfirmen manipuliert?

Dass es Manipulationen gab, steht nach Einschätzung des Hess-Aufsichtsrats – der der ebenfalls beschuldigte Jürgen G. Hess angehört – fest. Eine Sonderuntersuchung kommt zu dem Schluss: Der Umsatz für das Jahr 2011 ist um neun Millionen Euro zu hoch angeben worden, betrug also nur rund 59 Millionen Euro. Und der Jahresüberschuss steht sechs Millionen Euro zu hoch in den Büchern – statt eines Überschusses von 1,3 Millionen Euro gab es ein minus von 4,7 Millionen. Für das Jahr 2012 ist der Umsatz gar um 15 Millionen Euro zu hoch ausgewiesen, der Überschuss um neun Millionen Euro geschönt. Der Verlust für das Jahr 2012 beträgt laut Sonderprüfung "mindestens 15 Millionen Euro".

Besonders heikel: Beide Zahlenwerke bildeten die Grundlage für den Börsengang im Oktober 2012. Und das wirft die lauter werdende Frage nach der Verantwortung der Banken von der LBBW bis zu Sparkassen sowie von Wirtschaftsprüfern auf, die nicht erst vor dem Parkettsturm im Dutzend die Bücher der inzwischen zahlungsunfähigen AG auf den Kopf gestellt haben.

Zurück zum System Hess. Fest steht: Ab 2008 begannen Hess und Ziegler ein Firmennetzwerk zu spannen, wie auch das Handelsblatt berichtet (die dazugehörige Grafik lässt sich Online leider nicht darstellen. Bei Interesse kann eine Kopie per E-Mail an dwerner@econo.de angefordert werden, A.d.R.). Spätestens ab 2011 taucht in Handelsregistern und Auskunftteien der Name Kirsten Bohr auf. Sie hat bei mindestens vier Firmen die Geschäftsführung – und das sind nur die Firmen, die mit Hess in Verbindung stehen. Als Geschäftsführerin der K+K Objekt laufen bei ihr in einer Art Holding die Fäden aus drei Firmen aus dem System zusammen.

Vier Punkte fallen generell auf:

– Es gibt eine Art Arbeitsteilung zwischen Christoph Hess und Peter Ziegler. Hess ist der Repräsentant mit Botschaftertitel und Sitzen in Gremien aller Art. Ziegler operiert im Hintergrund, führt die Geschäfte bei Firmen aus dem Netzwerk.

– Das System bildet eine Art Schatten der Hess AG und deren offizieller Töchter: So entwickeln, produzieren und vertreiben Light Design und Light Design Solutions Beleuchtungssyeteme insbesondere im Bereich der LED-Technik. Oder die Econ Projektmanagement: Die GmbH mit Sitz in Dresden projektiert technische Anlagen und entwickelt, produziert und vertreibt elektrotechnische Produkte. Und die Evros, die seit 2011 nur einen Steinwurf vom Hess-Stammsitz entfernt firmiert: Sie wird von einem Hess-Vorstand geführt und erbringt Leistungen im der computergestützten Produktenwicklung. All das Aufgezählte gehört eigentlich zu den Kernkompetenzen der Hess AG.

– Wobei einerseits der Gegenstand des jeweiligen (Schein-)Unternehmens im Handelsregister ohnehin meist äußerst weit gefasst ist. Beispiel: Die erst 2011 gegründete K+K Objekt. Sie hat laut Eintrag den Zweck: "Die Erbringung von Beratungs- und Projektmanagementleistungen sowie die Verwaltung von Immobilien. Ferner die Entwicklung, Herstellung und der Vertrieb von technischen Produkten." Keine schlechte Grundlage, um Rechnungen zu schreiben.

Andererseits ist fraglich, ob die angegebenen Firmenzwecke überhaupt erfüllt werden können. Beispiel: Die von Peter Ziegler seit 2008 geführte AMW Präzisionstechnik teilt sich offensichtlich mit der Rosenberger-Gruppe in Simonswald (bei der Ziegler vor und während seines Hess-Engagements aktiv war) das Gebäude.

Wer bei AMW indes jüngst anrief, der landete sozusagen bei Familie Ziegler im Wohnzimmer in VS-Obereschach. Für ein Unternehmen, das mechanische Komponenten und Teile entwickelt und herstellt ungewöhnlich. Und hatte Ziegler in Sachen Finanzen und Controlling nicht ohnehin ausreichend zu tun?

–Alle Firmen aus dem Netzwerk haben bemerkenswerte Biografien. Bis aus der Pensum Marketing eine LD Technologie wurde, waren mehrere Übergänge notwendig. Ebenso auffallend: Vor und nach dem Börsengang war besonders viel Bewegung im Netzwerk. Ziegler verließ die Geschäftsführung der LD Technologie. Die K+K Objekt übernahm dort die Mehrheit vom AMW, ebenso wie an der Econ Projektmanagement. Bei Econ kam auch gleich noch Kirsten Bohr an die Spitze. Zugleich wurde die Thorn Vertrieb, ein weiterer fraglicher Betrieb aus dem Netzwerk, in Vulkan Schweiz umbenannt. Auch hier hat Bohr offiziell das Sagen. Wer sie indes kontaktieren möchte, der landet bei der deutschen Vulkan, einer Hess-Tochter. Und erhält keine Antwort.

Das Hin und Her diente offensichtlich einem Zweck: verschleiern. Denn all die Firmen haben sich und der AG nach Econo-Informationen Rechnungen gestellt. Belegbare Leistungen hat es indes kaum gegeben. Der Zweck des Spiels: Die Finanzschwäche von Hess vernebeln, um Banken und Investoren zu locken. Das gelang – bis zum Januar.

Was am Ende davon strafrechtlich relevant sein wird, werden die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zeigen. Wann das sein wird? "Das ist derzeit nicht absehbar", so Staatsanwalt Peter Litz zu Econo. Zumal die Ex-Vorstände Hess und Ziegler von ihrem Schweigerecht gegenüber den Ermittlern Gebrauch machen. Bis zum Redaktionsschluss gab es auch keine Stellungsnahme zu den Ergebnissen der Sonderprüfung.

Auch Kirsten Bohr schweigt. Auf verschiedene Kontaktversuche von Econo hat sie nicht reagiert. Wahrscheinlich entspricht das ihrer Aufgabe im System Hess: schweigsam im Hintergrund auf hoffentlich gut dotiertem Posten.

4 Die hess.liche Seite der Wirtschaft

Der Leuchtenhersteller Hess war ein Vorzeigeunternhemen. Heute steht es für einen Wirtschaftskrimi: Bilanzmanipulationen, Scheinfirmen und Ermittlungen prägen die Szene. Das Protokoll eines Scheiterns aus dem Februar 2013

Foto: econo

Villingen-Schwenningen. Der Tag 15 ist der bislang spannendste in der Causa Hess. An diesem Tag 15 nach der Mitteilung über den Rauswurf der Vorstände Christoph Hess und Peter Ziegler bietet ein Insider Econo Informationen aus dem Herzen der AG an. Hintergrundgespräch plus Kopien von Unterlagen sind im Angebot.

Doch das eigentlich Interessante daran ist, was der Insider, der noch bei Hess angestellt ist, mit seinem Tun vermittelt: Das Vertrauen in das inzwischen insolvente Unternehmen ist weg. Dass die AG mit ihren 380 Mitarbeitern noch eine Chance hätte. Dass der Insider selbst noch eine berufliche Perspektive für sich sieht.

Was ist aus dem Vorzeigeunternehmen Hess geworden? Dieser Leuchtenhersteller aus Villingen-Schwenningen mit Weltruf in Sachen Technik und Design? Hier ist das Protokoll einer hässlichen Seite der Wirtschaft:

21. Januar, Miami. Jürgen G. Hess erhält vormittags einen Anruf. Der Aufsichtsrat der Hess AG und ehemalige Geschäftsführer wird über eine bevorstehende Aufsichtsratssitzung informiert. Telefonisch wird er dazugeschaltet. Es dauert nur wenige Minuten, dann hat ihm der Aufsichtsratsvorsitzende Tim van Delden die Situation erklärt. Aus seiner Sicht ist sie desaströs.

Der Vorwurf: Christoph Hess und Peter Ziegler sollen systematisch die Bilanzen der AG manipuliert haben. Ein leitender Mitarbeiter soll van Delden die Informationen wenige Tage zuvor zugespielt haben – ob aus gekränkter Eitelkeit, weil er mit dem Vorstand Hess aneinander geraten ist oder weil er das Treiben mit seinem Gewissen nicht mehr vereinbaren konnte, ist unerheblich. Der Vorwurf steht im Raum und die Entscheidung des aus drei Personen bestehenden Hess-Aufsichtsrates fällt einmütig aus. Vater Hess hat damit geholfen, seinen Sohn zu entmachten. Über die näheren Umstände gibt es Spekulationen.

Gegen 16 Uhr gibt das Unternehmen eine obligatorische Ad-hoc-Meldung raus, überschrieben mit "Führungswechsel". Dann folgen die Anschuldigungen mit dem Hinweis auf eine Sonderprüfung, die eingeleitet wurde.

Was auf den ersten Blick auffällt: Die Vorstände werden sofort entlassen, nicht erst beurlaubt. Das macht nachdenklich. Und weder die Vorstände noch die Wirtschaftsprüfer wurden zu diesem Zeitpunkt zu den Vorwürfen befragt. Eigentlich hätte man das erwarten können.

Dafür präsentiert der Aufsichtsrat mit Till Becker sofort einen neuen Vorstand. Becker arbeitet schon länger für den Finanzinvestor HPE, dessen Chef Hess-Aufsichtsrat van Delden ist. HPE ist zugleich der zweitgrößte Anteilseigner an der AG. Hess und Ziegler werden per Mobiltelefon kurz über ihre Abberufung informiert.

22. Januar. Die genannte Konstellation lässt die Gerüchteküche brodeln. Die erhält auch Nahrung von der Ankündigung von Christoph Hess, "weitere Schritte einzuleiten, um mich gegen die Vorwürfe zu wahren und weiteren Schaden vom Unternehmen abzuwenden".

Sollte es tatsächlich möglich sein, dass Hess und Ziegler über Jahre hinweg Banken, Investoren, Wirtschaftsprüfer und zuletzt auch die Bankenaufsicht Bafin an der Nase herumgeführt haben? Mit krimineller Energie Zahlen geschönt haben?

Zur Erinnerung: 2011 stieg der Finanzinvestor HPE mit rund 28 Prozent bei dem als Familien-AG geführten Unternehmen ein. Ende 2012 dann der öffentliche Börsengang in Frankfurt mit einem Erlös von 15,50 Euro pro Aktie. Beide Male müssen doch die Bücher penibel geprüft worden sein?

23. Januar. Diese Fragen stellt man sich auch bei der Staatsanwaltschaft. Der Ermittlungen nimmt sich gleich die Schwerpunktstaatsanwaltschaft in Mannheim an, es folgen die üblichen Durchsuchungen im Unternehmen sowie in Privaträumen. Alles andere hätte auch gewundert.

Wird zunächst nur gegen die beiden ehemaligen Vorstände Hess und Ziegler ermittelt, so weitete sich der Kreis bis zum Redaktionsschluss aus insgesamt sechs Personen aus. Dazu zählen Mitarbeiter von Hess und wohl auch zumindest Teile des Aufsichtsrates.

In den Folgetagen brodelt die Gerüchteküche weiter. Beide Seiten stechen immer wieder Informationen an die Presse durch. Jürgen G. Hess bringt sich sogar selbst wieder ins Spiel: Er stehe bereit, die Verantwortung zu übernehmen. Warum er den Weg über die Öffentlichkeit sucht, bleibt sein Geheimnis. Die Antwort des Neu-Vorstands kommt jedenfalls prompt und klar: "Hess ist kein Familienunternehmen mehr."

Ein Satz, der in der Folgezeit noch entscheidend sein wird.

28. Januar. Vertreter der Gläubigerbanken treffen sich in Stuttgart. Und sie sind aus zwei Gründen sauer: 1. Weil ein durch relativ kleines Unternehmen wie Hess mit 380 Mitarbeitern und (wohl) rund 55 Millionen Euro Umsatz gleich 15 Geldgeber im Pool hat. 2. Weil die Banken nach der Ad-hoc-Nachricht über die Entlassung der Vorstände keinerlei detaillierte Informationen mehr erhalten haben. Das sagt jedenfalls ein Kenner.

Deshalb sind die Vertreter begierig zu erfahren, was Sache ist. Und vor allem: wie soll es weitergehen? Dem Vernehmen nach herrscht dicke Luft im Konferenzraum. Die Antworten der Hess-Verantwortlichen sind zu vage, zu mager. Dabei könnten die Gläubiger den Geldhahn sofort zudrehen: Mit den Manipulationsvorwürfen steht auch der Kreditbetrug im Raum. Ein Insider zu Econo: "Für Hess läuft jetzt die Sanduhr und keiner ist bereit, noch eine Schippe draufzulegen. Und die Uhr läuft eher Tage als Wochen…"

Die Stimme sollte am Ende recht behalten.

3. Februar. Allmählich kommt Licht in die Causa Hess. Ein Insider wittert seine Chance. Ziegler und Hess sollen ein Geflecht aus Scheinfirmen unterhalten haben. Über diese wurde der Umsatz von Hess in 2011 wohl um mehrere Millionen Euro nach oben geschönt.

Mit der Bilanz 2012 sollte noch ein größeres Rad gedreht werden. Der Grund dafür ist klar: Hess benötigt Geld. Die Umsätze steigen zwar – auf welche Höhen tatsächlich, ist zum jetzigen Zeitpunkt schwer zu sagen. Die Verbindlichkeiten steigen aber ebenfalls. Von bis zu 50 Millionen Euro ist die Rede. Zehn Millionen Euro aus dem Börsengang in Höhe von 36 Millionen Euro wurden zur Schuldentilgung genutzt, sechs Millionen Euro kostete die Emission. Der Rest floss ins Unternehmen. Aktuell sollen die Gläubiger Forderungen in Höhe von 20 Millionen Euro haben.

Wer die treibende Kraft hinter den Manipulationen ist? Schwer zu sagen. Ziegler kennt die Finanzkniffe aus dem Effefff. Auf ihn sollen alle Scheinfirmen laufen. Hess ist ehrgeizig, kennt die Finanzwelt und hat seine Vision vom global aufgestellten Premium-Leuchtenhersteller rigoros verfolgt.

Dass die Familie zudem die Grenzen zwischen privat und geschäftlich nicht immer randscharf zog, mag vor dem Hintergrund der anderen Vorwürfe lässlich erscheinen. Nutznießer waren jedenfalls Handwerker und Vereine in Villingen-Schwenningen, das Ansehen der Familie war groß. Ein Kenner: "Familie Hess hat nicht verstanden, dass der größte Anteilseigner einer AG nicht der Alleinherrscher ist."

Jedenfalls stehen aktuell die Vorwürfe der Untreue, des Betrugs und der Prospektfälschung im Zusammenhang mit dem Börsengang im Raum. Die Staatsanwaltschaft sieht die Vorwürfe als erhärtet an, auch die Spur der Scheinfirmen wird verfolgt. Hess und Ziegler bestreiten die Vorwürfe, räumen aber ein, dass es bei der Aufstellung der Bilanz 2012 noch "Gesprächsbedarf" gegeben habe. Stattdessen folgte die Entlassung. Aus dem Umfeld der Familie ist von Verleumdung die Rede.

4. Februar. Die Banken machen ihre Ankündigung war, die Linien werden gesperrt. 19 Millionen Euro an liquiden Mitteln und Kreditlinien sollen zum 21. Januar zur Verfügung gestanden haben. Von jetzt auf gleich bleibt der AG nichts mehr. Hinter den Kulissen wird seit Tagen hektisch verhandelt, auch mit neuen Investoren.

5. Februar. Die Hess AG berichtet am Vormittag per Ad-hoc-Meldung über die finanziellen Engpässe, schiebt die Schuld auch auf die Hess Grundstück als größten Einzelaktionär. Diese sei nicht zu Zahlungen bereit.

Hinter der GmbH steht die Familie mit Christoph Hess an der Spitze. Der setzt sich am Nachmittag gegen die Vorwürfe zur Wehr. Er habe 1,35 Millionen Euro an Sofortmitteln auf ein Treuhandkonto eingezahlt, warte aber auf eine Erklärung des Vorstands: Es werde keine Insolvenz geben. Angesichts der Lage kann Till Becker aber diese Erklärung gar nicht geben. Zudem steht Becker auf dem Standpunkt: Die 1,35 Millionen Euro stehen der AG aufgrund vertraglicher Verpflichtungen ohnehin zu. Und sind somit gar kein Sanierungsbeitrag.

Christoph Hess erhebt indes schwere Vorwürfe gegen Vorstand Becker und den Aufsichtsratsvorsitzenden van Delden. Man habe ihn noch immer nicht persönlich angehört und erschwere die Akteneinsicht durch die Anwälte. Hess und Ziegler stellen sogar in einem offenen Schreiben an die "lieben Mitarbeiter" ihre Sicht der Dinge darf. Ein Affront.

13. Februar. Was an diesem Tag gegen 12 Uhr folgt, ist keine Überraschung mehr: Hess stellt Insolvenzantrag. Es sei der einzige Weg, das Unternehmen zu sanieren, teilt Vorstand Becker mit. Er rechnet mit bis zu zwölf Millionen Euro Verlust für das laufende Jahr. Um eventuell noch eine "schwarze Null" zu erwirtschaften, hätten fünf Millionen Euro in die Restrukturierung gesteckt werden müssen. Geld, das weder die Gläubiger noch die Anteilseigner, noch neue Investoren geben wollten.

Auffallend dabei: Bereits seit 2009 soll der Cashflow im Minus gewesen sein, wurde ergo mehr Geld ausgegeben als eingenommen. 2010 lag das Minus bei 1,4 Millionen Euro, 2011 sogar bei 4,6 Millionen. Diese Beträge sind zuvor keinem aufgefallen?

Christoph Hess wehrt sich erneut per Mitteilung gegen die Vorwürfe, spricht davon, dass eine Insolvenz von Beginn an geplant gewesen sei. Eine Antwort auf das Warum, nach dem Sinn, bleibt er bis zum Redaktionsschluss schuldig.

15. Februar. Der vorläufige Insolvenzverwalter Martin Mucha von der Kanzlei Grub Brugger & Partner arbeitet sich seit zwei Tagen in die Fakten ein. Er will die "gegenwärtige Lage zügig verstehen". Der Geschäftsbetrieb soll reibungslos weitergehen, in den kommenden Wochen ein tragfähiges Konzept erarbeitet werden.

Unter den Mitarbeitern herrscht dem Vernehmen nach Erleichterung über die Insolvenz: Jetzt wisse man, woran man ist. Ans Know-how des Unternehmens glauben ohnehin die allermeisten, deshalb habe das Unternehmen eine Zukunft. Jedenfalls für die meisten. Aber manches aus der AG lässt auch aufhorchen: "Es ist erstaunlich, wie viele jetzt beim Gespräch auf dem Flur zugeben, 'irgendetwas gewusst oder vermutet' zu haben", heißt es aus Kreisen des Unternehmens.

Was am Ende wirklich an diesem "gewusst haben" dran ist, werden die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und ein mögliches Urteil zeigen. Vorher gilt die Unschuldsvermutung.

Historie:

1947 Willi Hess gründet die Willi Hess KG Eisen- und Metallgießerei in VS-Villingen – gefertigt werden zunächst Waffeleisen und Teile für die heimische Industrie.

1978 Jürgen G. Hess übernimmt den Auftrag zum Guss von Altstadtleuchten. Es ist der Beginn der Leuchtenproduktion.

1989 Hess baut die Sparte Lichttechnik auf.

2007 Christoph Hess wird Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzender der neu gegründeten AG. Vater Jürgen G. Hess wechselt in den Aufsichtsrat.

Oktober 2012
Das Unternehmen wird an die Börse gebracht. Der Start glückt, die Aktie muss aber Abschläge hinnehmen.

Februar 2013 Hess ist insolvent.

5 Die handelnden Personen

Vier Menschen stehen zu Beginn des Hess-Krimis im Mittelpunkt des Interesses. Hier ist die Übersicht aus dem Februar 2013

Foto: PR

Christoph Hess, 40, (Foto rechts) ist seit 1999 im Unternehmen. Vater Jürgen G. Hess hat ihn bei "mehreren Flaschen Rotwein" überzeugt, ins Unternehmen einzusteigen. Der Sohn hatte nach dem BWL-Studium mit dem Schwerpunkt Finanzmanagement mehrere Angebote auf dem Tisch, die ihn in die Welt der Großfinanzen katapultiert hätten. Nicht schlecht für jemanden, dem die Mathematik auf dem Gymnasium fast zum Verhängnis wurde. Für die Nachfolgeregelung bei Hess gab es sogar einen Preis.

Peter Ziegler, 44, (Foto links) wechselte 2006 von der Gütenbacher Rosenberger-Gruppe zu Hess. 2009 wurde er zum Finanzvorstand ernannt. Mehrere Kenner berichten übereinstimmend, dass er in Sachen Finanzierungen gerne "aggressiv" vorging und die Möglichkeiten der Bilanzierungen nach IFRS-Regeln und HGB bis ins Letzte ausschöpfte. Aber die kriminelle Energie, um Manipulationen in Millionenhöhe vorzunehmen? Und dann auch noch über Jahre Banken und Prüfer narren? Da gibt's Zweifel.

Jürgen G. Hess, 68, gibt dem Familienunternehmen 1978 den entscheidenden Impuls: Er fertigt historisierende Straßenlaternen für die Altstadt von VS-Villingen. Die Idee der gestalteten Außenleuchten war geboren. Jürgen Hess führte das konsequent weiter, arbeitete mit Designern zusammen und ließ zudem das passende Stadtmobiliar entwerfen. So wurde die Familien-AG zum einzigen Anbieter mit Licht und Mobiliar in einer Qualität. Weltweit werden Hess-Produkte eingesetzt.

Tim van Delden ist Mitbegründer und Chef der Holland Private Equity-Gruppe (HPE) mit 150 Millionen Euro Investkapital. HPE kam Mitte 2011 im Zuge einer Kapitalerhöhung zu Hess, dabei erhielt er auch einen Sitz im Aufsichtsrat der AG. Im Zuge des Börsengangs im Oktober 2012 übernahm van Delden auf Bitten von Jürgen Hess den Vorsitz des Gremiums. Über das Verhältnis zwischen van Delden und den ehemaligen Vorständen Hess und Ziegler gibt es widersprüchliche Aussagen.

6 "Durch den Börsengang haben wir unsere Wachstumspläne abgedeckt"

Im Interview erläutert der Hess-Finanzvorstand Peter Ziegler im November 2012 den hohen Schuldenstand und die Entwicklung der AG. Drei Monate später beginnt der Absturz

Foto: PR

Villingen-Schwenningen. Das Umfeld für Börsengänge ist in diesen Tagen sehr speziell. Nachdem Hess nun an der Börse ist können Sie wieder besser schlafen, Herr Ziegler?

Peter Ziegler:
Auf jeden Fall. Vor allem weil jetzt ein Zeitraum abgeschlossen ist, der viele Ressourcen gebunden hat. Am Ende haben wir eine Punktlandung hingelegt und unsere Planungen eingehalten.

Dennoch mussten Sie die Preisspanne von erhofften 20-23 Euro je Aktie senken, haben mit 15,50 Euro gerade den Mindestwert eingefahren. Damit flossen Hess statt erhoffter 50 Millionen Euro 35,65 Millionen zu. Ein Rückschlag?

Ziegler:
Aus Sicht des Finanzvorstands wünsche ich mir natürlich den höheren Wert. Das Marktumfeld war aber so, dass die Investoren das Sagen haben, das heißt, dass wir uns in einem Käufermarkt befinden. Zudem dürfen wir die Größe unseres Unternehmens in diesem Umfeld nicht außer Acht lassen. Deshalb sind wir mit dem Ergebnis zufrieden. Der Maßstab für uns ist: Können wir unsere Pläne erfüllen oder nicht? Und wir können.

Wofür werden die Einnahmen verwendet - für den Schuldenabbau?

Ziegler:
Mit einer gewissen Tranche werden die Verbindlichkeiten reduziert. Der wesentliche Teil fließt jedoch in den Vertrieb, die Weiterentwicklung der LED-Technik samt neuen Produktlinien sowie strategische Zukäufe.

Hess hat in 2011 knapp 17 Millionen Euro neue Schulden gemacht...

Ziegler:
Hess befindet sich aktuell an dem Punkt, an dem sich die Uhren- und Phonounternehmen der Region vor Jahrzehnten befanden: Im Umbruch. Die Entwicklung geht weg vom konventionellen Leuchtmittel, das sich seit gut 100 Jahren technisch kaum verändert hat. Mit der LED-Technik befinden wir uns mitten in der Elektronik. Da gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man geht den Weg mit oder man verliert den Anschluss an den Wachstumsmarkt LED. Wir haben uns vor vier Jahren entschlossen, voll auf LED zu setzen. Dafür haben wir Investitionen, beispielsweise in Entwicklung und Fertigung getätigt. Wir haben also bereits viel investiert, so dass wir jetzt die Chancen, die der Markt bietet, nutzen können. Gerade im LED-Bereich haben wir ein stärkeres Wachstum als der Branchenschnitt.

Es bedeutet aber auch, dass Hess 2011 laut Bilanz rund sechs Prozent des Umsatzes oder 3,9 Millionen Euro für Zinsaufwendungen verwendete.

Ziegler:
Die 3,9 Millionen Euro betreffen die gesamten Finanzaufwendungen, davon entfallen rund 2,4 Millionen Euro auf Zinsaufwendungen. Zudem dürfen Sie nicht verkennen: Wir haben im Nahen Osten mehrere kapitalintensive Projekte bearbeitet.

Bei einem Umsatzrückgang von sechs Prozent oder mehr müssen Sie aber schlucken?

Ziegler:
Der LED-Boom ist ungebrochen, das bestätigen mehrere Studien namhafter Beratungsunternehmen. Hinzu kommen Aspekte wie die ökologische Ausrichtung. So müssen in den kommenden Jahren EU-weit mehr als 30 Prozent der bestehenden Beleuchtung ausgetauscht werden, da diese quecksilberhaltig sind. Zudem wächst das Interesse an der Technik in den Schwellenländern. Es gibt also eine Reihe von Parametern, die ein deutliches Wachstum prognostizieren.

Für 2011 war der operative Cash Flow mit -4,6 Millionen Euro negativ, was vor allem mit Außenständen von elf Millionen Euro zusammenhängt. Hat sich die Zahlungsmoral Ihrer Kunden, insbesondere der Kommunen verschlechtert?

Ziegler:
Die deutschen Kommunen sind aus unserer Sicht sehr gute, kurzfristige Zahler, welche innerhalb von acht bis 30 Tagen ihre Rechnungen begleichen. Im Ausland liegen die Zahlungsziele dagegen teilweise bei 90 bis 120 Tagen. Wie erwähnt arbeiteten wir auch an sehr großen Auslandsprojekten mit Volumen im hohen einstelligen Millionenbereich. Dies hat sich in den Zahlen niedergeschlagen.

Also entwickelt sich der operative Cash-Flow in diesem Jahr positiv?

Ziegler:
Ja, wir stehen in den ersten sechs Monaten 2012 bei über drei Millionen Euro im Plus.

Die Aktie ist bislang hingegen nicht im Plus. Wie erklären Sie sich die Schwäche?

Ziegler:
Ich schaue mir den Kurs nicht jeden Tag an, weil ich mich nicht verrückt machen lassen will. Denn aus den ersten zwei Wochen Handel lassen sich noch keine Schlüsse ziehen. Aber natürlich werden wir künftig intensiv den Kontakt zu den Investoren pflegen und für positive Nachrichten sorgen. Unsere Investor Relations-Arbeit fängt jetzt erst an.

Lohnt sich denn der Aufwand für die Börsen-Notierung, auch aus finanzieller Hinsicht?

Ziegler:
Natürlich hätten wir auch auf anderem Weg an Kapital kommen können. Aber dann wären wir ständig auf der Suche nach Investoren gewesen. Durch den Börsengang haben wir den finanziellen Aspekt unserer Wachstumspläne abgedeckt.

Peter Ziegler, 44, ist seit 2006 bei Hess, zunächst als kaufmännischer Leiter und seit drei Jahren Finanzvorstand. Der Bankkaufmann und Betriebswirt arbeitete bei der Deutschen Bank sowie der Rosenberger-Unternehmensgruppe in Gütenbach.

Das Interview wurde im November 2012 geführt.

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