1 Auferstehung
Lange Jahre ging nicht viel in Villingen-Schwenningen. Doch das Herz der Innovationsachse meldet sich nun eindrucksvoll zurück.
Der vom Herzen gepurzelte Stein muss riesig gewesen sein. Jedenfalls sieht man den Verantwortlichen die Erleichterung an diesem Abend Anfang August sehr deutlich an: Der Gemeinderat Villingen-Schwenningen stimmt mit großer Mehrheit für ein neues Einkaufszentrum in VS-Schwenningen.
Es ist nicht irgendeines, sondern der Ersatzbau für das seit Jahren leerstehende Einkaufszentrum "s'Rössle". Lange wird dieses Ereignis herbeigesehnt. Der ungebliebte Bau am Rande der Innenstadt, der nach wenigen Jahren Betrieb schon wieder aufgegeben wurde, stand symbolisch für eine bleierne Zeit.
Man muss es so hart formulieren. Das Doppelherz an der Innovationsachse Stuttgart-Zürich beschäftigte sich über lange Jahre vor allem mit sich selbst. Hinter vorgehaltener Hand machten Entscheidungsträger aus Unternehmen und Institutionen immer wieder ihrem Ärger über das Gebahren in der Stadt Luft. Trauriger Höhepunkt war damals das Gezerre um die Landesgartenschau 2010, weshalb nicht alle Chancen genutzt werden konnten.
Doch das gehört der Vergangenheit an. Beobachter machen das, ebenso wie OB Rupert Kubon, auch an einem Umstand fest: "Der Gemeinderat zieht jetzt an einem Strang" (lesen Sie hierzu auch das Interview in diesem Dossier). Ob das allein den Ausschlag gibt, lässt sich naturgemäß nicht wirklich nachvollziehen. Es wird aber auch ganz allgemein von einer Art Aufbruchstimmung berichtet.
Den sprichwörtlichen Stein ins Rollen könnte ausgerechnet ein soziales Großprojekt gebracht haben: Das 2013 eröffnete Zentralhaus des Schwarzwald-Baar Klinikums Villingen-Schwenningen mit 750 Betten und Hundertausenden Patienten pro Jahr war mit rund 260 Millionen Euro nicht nur einer der größten Klinikneubauten im Land. Für den jahrelang darbenden Wohnstandort Schilterhäusle zwischen den großen Stadtteilen Villingen und Schwenningen löste der Bau einen Boom aus.
Abgesehen davon hat der architektonisch top gestaltete Komplex zahlreiche Folgeinvestitionen ausgelöst: Neben weiteren Ärzten und Gesundheitsanbietern ist aktuell auch ein lange ersehnter Hotelkomplex im Werden: Im Frühjahr soll das von einer Investorengruppe für 33 Millionen Euro erstellte Haus mit 136 Betten unter der Führung von "Holiday Inn" eröffnen. "Das neue Hotel wird ein Leuchturmprojekt", so Rene Schappner, Direktor Development bei der "Holiday Inn"-Mutter IHG. Ein weiterer Leuchtturm könnte auch der geplante Neubau der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg in der Nachbarschaft werden, die mit der Zentrale sowie Schulungsräumen aus der beengten Innenstadt von Villingen in die Weite des Geländes ziehen will.
Die Liste mit derlei Projekte von öffentlicher Verwaltung und Instituten ließ sich noch beinahe beliebig verlängern: Vom Neubau einer Veranstaltungshalle im Stadtteil Schwenningen, die auch von den Hochschulen genutzt werden kann und die mit Verspätung die Bebauung am östlichen Ende des Gartenschau komplettiert, über die Sanierung der Ringanlagen in Villingen und die Modernisierung der Fußgängerzone in Schwenningen sowie die Breitband-Anbindung der Gewerbegebiete und das Engagement der Stadtwerke VS in Sachen Elektromobilität und Schwimmbäder bis zum zentralen Verwaltungsneubau auf dem ehemaligen Kasernenareal im badischen Landesteil reicht das Spektrum. OB Kubon ist die Freude über die Weichenstellungen deutlich anzumerken wenn er sagt: "Das hat Signalwirkung!"
Bei genauer Betrachtung der unzähligen Baukräne auf der Gemarkung kommt einem noch eine Baustelle in den Sinn, die für den rollenden Stein stehen könnte: Der 27.000 Quadratmeter große Neubau des Möbelhauses XXX-Lutz soll im kommenden Jahr eröffnet werden - und damit wegen Querelen gut fünf Jahre später als zunächst geplant. Vielleicht steht auch dieses 30-Millionen-Euro-Projekt für die bleierne Zeit. Doch wie gesagt: Die ist Vergangenheit.
Aufbruchstimmung ist auch bei den zahlreichen Unternehmen spürbar. An keiner Stelle eventuell mehr als bei der Hess Licht + Form, einem der führenden Hersteller von Außen-Beleuchtungssystemen. Vor einigen Jahren durch einen noch nicht aufgearbeiteten Finanzskandal in schwere See geraten, ist die GmbH unter dem Dach der Nordeon-Gruppe zu neuer Größe aufgestiegen. Auch beim Licht-Spezialisten Waldmann läuft es rund: Das Familienunternehmen mit eigenem großen Kindergarten (den "Glühwürmchen") ist spezialiert auf Innen-, Produktions- und Architekturbeleuchtung sowie medizinischen Lichtlösungen und investiert aktuell in einen großen Showroom am Stammsitz.
Auch bei diesen Investitionen ließe sich die Liste beliebig verlängern: Der Dosierspenderhersteller Megaplast hat mit dem Baudienstleister Goldbeck die größte Investition im Stadtbezirk der jüngsten Zeit gestemmt. Der Konzern PMDM wird seine Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten am Standort ausweiten. Dazu kommt noch die Jopp Elektronik: Die Gruppe wird die Sparte mit aktuell 90 Mitarbeitern nach Fertigstellung des neuen Standortes auf dem 12.000 Quadratmeter großen Areal in der Doppelstadt zusammenfassen.
Vielleicht gibt es sogar noch ein Ereignis, das den Stein ins Rollen gebracht hat: Die städtische Wirtschaftsförderungsgesellschaft hat nach einigen Wirrungen mit Beate Behrens eine neue Chefin. Seit Anfang 2014 hält die 46-Jährige die Zügel in dem Eigenbetrieb in der Hand. Ihre hemdsärmelige wie pragmatische Art kommt dabei bei den Unternehmern durchaus an. Nach Veranstaltungen schnappt sie sich schon mal eine Flasche Bier, um im kleinen Kreis mehr über die Befindlichkeiten der Unternehmer, Händler und Touristiker zu erfahren.
Wer oder was am Ende auch immer der auslösende Stein war, VS ist jedenfalls wieder da! Und das lässt sich kaum besser ablesen, als beim alten "s'Rössle". Die Hanseatische Betreuungs- und Beteiligungsgesellschaft (HBB) will laut Zeitplan bis Ende 2019 zunächst den Leerstand abreißen und dann einen Komplex mit 15?000 Quadratmetern neu aufsetzen. 80 Millionen Euro sind als Investitionssumme veranschlagt. Auch die Möglichkeit, die gegenüberliegende Stadtbibliothek in den Neubau zu integrieren, hat HBB der Verwaltung in Aussicht gestellt. Das wiederum würde die Chance eröffnen, die Innenstadt von Schwenningen weiter aufzuwerten - es lassen sich eben noch viele Steine ins Rollen bringen. Oder wie es HBB-Geschäftsführer Harald Ortner weniger prosaisch ausdrückt: "Wir bringen Leben in die Bude."
Hintergrund: Zufriedene Unternehmer
Es kommt selten vor, dass öffentliche Verwaltungen nach einer Unternehmerbefragung frohlocken. In Villingen-Schwenningen zeigte sich OB Rupert Kubon bei der Vorstellung der Ergebnisse angetan: "Ich bin froh über die Dynamik, die sich in den Antworten zeigt."
Dahinter verbirgt sich der Flächenbedarf von sieben Hektar an Bauland sowie weiteren 6,5 Hektar an Büroflächen. Zugleich werden die Aktivitäten der Verwaltung durchaus positiv wahrgenommen. Natürlich gab es Kritikpunkte - die indes weniger in den Händen der Verwaltung liegen: Vor allem der Fachkräftemangel drückt in den Unternehmens aufs Gemüt. Akademiker verspüren demnach keinen echten Drang, in die Doppelstadt zu ziehen. Daran ändert auch die vorhandene Hochschullandschaft wenig.
Dies hängt laut Umfrage auch mit dem Image des Standortes zusammen, beziehungsweise mit der wenig ausgeprägten überregionalen Wahrnehmung. Ein Umstand, den Kubon einräumte: "Wir müssen das Thema dringend angehen." Auch die Wirtschaftsförderin Beate Behrens goutierte die Antworten der Unternehmen, die sich ungewöhnlich breit an der Befragung beteiligt hatten. Sie wird die Rückmeldungen in die Arbeit einfließen lassen: "Wir werden unsere Segel danach ausrichten."