"Der Druck ist erheblich und er wird noch zunehmen"

Röchling-Chef Hanns-Peter Knaebel spricht im econo-Interview über die Notwendigkeit der Veränderung, woher das Geld dafür kommt, die Ertragsschwäche des Konzerns und er sagt, warum ihn das Thema Nachhaltigkeit antreibt

 
Foto: Röchling
 

Herr Professor Knaebel, ein Teil der Digitalisierungsstrategie bei Röchling ist es, alle Mitarbeiter mit einer E-Mailadresse auszustatten. 70 Prozent der Mitarbeiter arbeiten in der Produktion und hatten bis dato keine Mailadresse – haben Sie die nötigen rund 7700 zusätzlichen Adressen schon anlegen lassen?

Hanns-Peter Knaebel:
Hier sind wir auf einem guten Weg. Wobei wir zusätzlich die Herausforderung haben, dass im Konzern unterschiedliche Domains genutzt werden. Das gleichen wir aktuell ebenfalls an, damit alle Endungen auf roechling.com lauten. Aber viel wichtiger ist mir: Wir haben schon jetzt über eine Mitarbeiter-App eine Brücke geschaffen, in der die Mitarbeiter alle relevanten Informationen erhalten. Damit ist ein wichtiger Kommunikationskanal offen, um unsere Aktivitäten für den Einzelnen im Unternehmen inhaltlich transparent zu machen. Denn nur wer die Zusammenhänge kennt, kann die Transformation begleiten.

Wobei die Mailadresse nur eine Randnotiz Ihrer Digitalisierungsstrategie ist: Von der Schulung der Mitarbeiter über die Ertüchtigung der Produktion bis zu neuen Technologien, die in bestehende Produkte Einzug halten sollen - warum gehen Sie das Thema so breit und zeitlich parallel an?

Knaebel:
Ganz einfach: Die Transformation ist in allen Branchen tiefgreifend. Röchling ist jetzt fast 200 Jahre alt und deshalb haben wir den internen Slogan "Fit for 3" – also "fit für das dritte Jahrhundert" – und das ist eine unserer Triebfedern.

Da klingt durch, es bleibt keine Zeit, Vorhaben auf die lange Bank zu schieben...

Knaebel:
Der Druck ist in der Tat erheblich, ganz besonders im Automotive-Bereich. Und er wird noch deutlich steigen! Deshalb ist es für Röchling so wichtig, jetzt zu agieren. Ansonsten laufen wir mittelfristig Gefahr, der Entwicklung hinterher zu laufen. Die Hinweise auf Nokia oder Kodak mögen abgedroschen sein, aber sie sind nach wie vor eine Warnung. Eine gute Marktpositionierung reicht heute eben bei weitem nicht mehr aus!

Hilft es, dass es bei Röchling eine gewisse Übung in Sachen Transformation und Konzernumbau gibt? Das Unternehmen hat sich ja immer wieder gehäutet.

Knaebel:
Es hilft, weil das kollektive Unternehmensgedächtnis tatsächlich sehr weit zurückreicht. Davon profitieren selbst Mitarbeiter, die die Prozesse nicht selbst erlebt haben. Im gleichen Zug gibt es aber auch immer die menschlich verständliche Sorge vor Veränderungen und eine damit einhergehende Verunsicherung. Deshalb ist uns in dem Prozess die Transparenz gegenüber den Mitarbeitern so wichtig.

Die Mitarbeiter mitzunehmen ist eine Herausforderung. Eine andere: die Transformation benötigt Geld. Die Gesellschafter stehen hinter Ihnen, der Strategie und Sie können aus dem Vollem schöpfen?

Knaebel:
(schmunzelt) Aus dem Vollen schöpfen kann heute wohl niemand. Aber die Intension Ihrer Frage ist richtig: Unsere Gesellschafter haben die Notwendigkeit der Transformation verstanden. Das gibt uns den inhaltlichen Handlungsspielraum – aber für den finanziellen Spielraum müssen wir selbst sorgen. Wir müssen also erfolgreich wirtschaften, um handlungsfähig zu sein und investieren zu können.

Die Investitionsmittel kommen aus dem laufenden Geschäft?

Knaebel:
In der Tat versuchen wir aus dem laufenden Geschäft heraus zu investieren, auch um nicht mit zu großen finanziellen Bürden in die Zukunft zu gehen.

Sie haben als eine der ersten Maßnahmen Klaus-Peter Fett als neuen CIDO vom Branchenprimus Google abgeworben. Das muss man sich leisten können...

Knaebel:
Da muss ich zuerst einen Gedanken zu einer wettbewerbsgerechten Vergütung formulieren: Natürlich muss das Gehaltsgefüge innerhalb eines Unternehmens stimmig sein und wenn eine Person aus diesem Gefüge ausbricht sorgt das für Unruhe – auch wenn in Deutschland nicht über Gehälter offen gesprochen wird. Allerdings kann sich auch ein Familienunternehmen heute nicht mehr allein auf Historie und Reputation verlassen und deshalb unter dem Marktpreis vergüten. Aber ich darf beruhigen: Unser CIDO passt in die Vergütungslandschaft.
Aber mir ist ebenso wichtig: Es war von den Gesellschaftern ein mutiger Schritt, dieser Personalie zuzustimmen. Denn vordergründig passt ein CIDO gar nicht zu Röchling – aber er macht allseits anerkannt einen hervorragenden Job.

Raten Sie anderen Unternehmen ebenfalls zu diesem Mut: Braucht es mehr Expertise von außerhalb der eigenen Branche? Oder kann man es über externe Berater abdecken?

Knaebel:
Die interne Lösung ist weitaus günstiger. Wichtiger aber ist der Mut, der hinter diesem Schritt steckt. Denn Herr Fett hat nicht nur die Verantwortung für das Thema IT samt der dazugehörigen Infrastruktur erhalten, sondern auch für das Thema Digitalisierung. Das ist für die Umsetzung ungeheuer wichtig, da im Zweifel nicht zwei Personen miteinander ringen müssen, was Reibung und Zeitverluste bedeutet. Die Infrastruktur wird ergo gleich an die Umsetzung der Digitalstrategie angepasst.

Angesichts der konjunkturellen Unsicherheiten sind Sie in Sachen Strategieumsetzung nicht nervös?

Knaebel:
Die Herausforderung ist es aktuell, den Mitarbeitern zu verdeutlichen, dass wir effizient und effektiv und damit kostenbewusst arbeiten müssen. Im gleichen Zuge müssen wir aber auch in Zukunftsthemen investieren. Das ist vordergründig ein Widerspruch, der sich den Mitarbeitern nicht unmittelbar erschließt. Dafür braucht es eben die eingangs erwähnte Transparenz, um Vorgänge im Dialog zu erläutern. Denn auch wir haben ja keinen unendlichen Mittelfluss.

Wie entwickeln sich denn die drei Bereiche Automotive, Industrial und Medical?

Knaebel:
Die Gruppe ist 2019 beim Umsatz um 15 Prozent gewachsen, dazu tragen alle Bereiche mit einem Plus von mindestens zehn Prozent bei. Zu 85 Prozent handelt es sich um organisches Wachstum, 15 Prozent der Dynamik sind Akquisitionen. Insgesamt sind wir mit der Nachfrage unserer Produkte zufrieden, mit der Profitabilität vor allem im Bereich Automotive allerdings nicht. Aber da geht es uns wie anderen Unternehmen auch.

Es wird beim Ergebnis also noch einmal einen Rückgang geben?

Knaebel:
Wir werden beim Ergebnis unter dem des Jahres 2018 liegen.

Haben Sie damit gerechnet?

Knaebel:
Mitte 2019 haben wir deutlich gespürt, welche Herausforderung insbesondere im Bereich Automotive auf uns zukommt.

Wurden entsprechende Maßnahmen angestoßen?

Knaebel:
Wir nehmen im Automotive-Sektor personelle Anpassungen vor. Diese hängen aber auch mit Modellwechseln bei den Fahrzeugherstellern im Jahr 2018 zusammen, durch die wir kurzfristig im Bereich Projektmanagement Kapazitäten aufbauen mussten. Diese Bugwelle an Projekten ist abgearbeitet, deshalb haben wir die Strukturen angepasst. Es gibt aber keine Massenentlassungen und trifft auch keinen einzelnen Standort.

Über welche Größenordnungen sprechen Sie bei den Anpassungen?

Knaebel:
Für den Verwaltungsbereich sprechen wir über zehn Prozent. Hier hatten wir sehr konstruktive Gespräche mit dem Betriebsrat und haben für das Unternehmen und die Mitarbeiter gute Lösungen gefunden.

Der mittlere einstellige Millionenbetrag, den Sie pro Jahr für die Digitalstrategie benötigen, ist durch die Entwicklung nicht gefährdet?

Knaebel:
An dem Betrag halten wir fest.

Die Digitalstrategie ist nur ein Thema. Zusätzlich haben Sie sich auch aufgebürdet, die Marke zu verjüngen und generell die Strukturen auf den Prüfstand zu stellen. Warum das denn auch noch?

Knaebel:
Das Rebranding haben wir mittlerweile abgeschlossen. Wir haben den Prozess in 2018 begonnen und 2019 mit der Vorstellung abgeschlossen und sind jetzt dabei, die neuen Logos überall zu platzieren. Wichtiger dabei ist mir aber, wir haben den Markenkern erneuert: Der Kunde steht im Zentrum und unsere Werte drumherum lauten "wegweisend", "exzellent" und "verlässlich". Wir haben bewusst Markenwerte gewählt, die einen Anspruch an uns für die Zukunft richten. Man darf nicht unterschätzen, was eine derartige Ausrichtung an Dynamik im Unternehmen auslöst!?
Daneben ist das Hinterfragen der Strukturen schlicht eine Notwendigkeit: Bislang gab es kaum eine Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Bereichen, dabei gibt es viele Anknüpfungspunkte – schließlich arbeiten alle Bereiche grundsätzlich mit einem Werkstoff, nämlich Kunststoff. Hier gilt es Prozess- und Werkstoffkompetenzen ebenso übergreifend zu nutzen, wie Themen des Talentmanagements und der Personalplanung gemeinsam anzugehen.

Chirurgen wird allgemein ein guter Überblick nachgesagt. Hilft Ihnen diese Tugend aus Ihrer alten Welt bei all den Aufgaben?

Knaebel:
(schmunzelt) Mehr noch hilft mir wahrscheinlich eine gewisse Resistenz gegenüber angespannte Situationen. Allgemeiner ausgedrückt: Rückblickend habe ich aus jeder Phase meines Berufslebens viel mitgenommen und gelernt. Die Chirurgie hat mich tatsächlich insofern geprägt, da man Verantwortung übernimmt und auch dazu steht, wenn Dinge mal nicht so optimal gelaufen sind. Die Zeit bei Aesculap hat mich vor allem als Person geprägt. In diesem Sinne war jeder Abschnitt gut.

Und den OP-Saal von Playmobil haben Sie auch noch auf dem Schreibtisch stehen?

Knaebel:
Den gibt es natürlich noch, und er ist mir eine gute Erinnerung.

Abschließend noch ein anderes Thema: Röchling unterstützt über die Stiftung verschiedene Initiativen zur Abfallvermeidung und zum Recycling. Ist das Greenwashing oder die Suche nach neuen Geschäftsmodellen?

Knaebel:
Das Thema möchte ich gerne breiter ziehen. Ich glaube tatsächlich, unser Unternehmen kann in den Bereichen Kunststoff und Nachhaltigkeit einen echten Beitrag leisten. Wobei wir den Abfall in den Meeren nicht verantworten, weil wir schlicht keine Wegwerfprodukte herstellen. Aber die Familie Röchling, die die Stiftung trägt, sieht es als Verantwortung, sich auch diesen Herausforderungen zu stellen. Dementsprechend bewegen den Konzern und die Stiftung die gleichen Themen. Ich würde mir natürlich wünschen, dass das Engagement nicht als Greenwashing ausgelegt wird.
Nachhaltigkeit wird künftig tatsächlich ein Teil unserer Geschäftsaktivitäten sein. Denn es ist ein größeres Thema, das weit über eine "Fridays for Future"-Bewegung hinaus geht. Ich bin überzeugt, dass es künftig nur unternehmerischen Erfolg geben kann, wenn man sich diesen Herausforderungen stellt. Nicht nachhaltig wirtschaftende Unternehmen werden es schwer haben. Deshalb erstellen wir aktuell eine neue Nachhaltigkeitsstrategie, die alles auf den Prüfstand stellt: Von der Energiebeschaffung bis zu Produkten aus Biopolymeren wird unsere komplette Wertschöpfungskette erfasst. Das ist eine große Aufgabe, aber unser Anspruch.

Dafür benötigen Sie dann auch noch einmal Geld...

Knaebel:
Dafür werden wir natürlich Ressourcen benötigen, aber wir müssen bereit sein diesen Weg zu gehen, um auch künftig unternehmerisch tätig sein zu können.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Hanns-Peter Knaebel, 51, war ab Oktober 2017 Vorstand für den Bereich Medical der Röchling Gruppe und ist seit 2018 Vorstandschef bei dem Kunststoffspezialisten. Zuvor studierte der passionierte Tennis- und Golfspieler zum Bedauern seiner unternehmerisch geprägten Familie Medizin. Zwölf Jahre arbeitete der promovierte Chirurg an der Chirurgischen Uniklinik Heidelberg, zuletzt als Oberarzt, bevor er 2007 zu dem Medizintechnikhersteller Aesculap nach Tuttlingen wechselte. Ab 2009 war er dort Vorstandschef. Der Uniklinik Heidelberg blieb er als Professor verbunden und ist zudem der Vorsitzende des Universitätsrates. Knaebel lebt mit seiner Frau und vier Kindern am Bodensee.

Übrigens: Ein Porträt über Knaebel aus seiner Zeit bei Aesculap finden Sie hier.

Die Wurzeln der Röchling- Gruppe mit Sitz in Mannheim reichen bis ins Jahr 1822 zurück, als Friedrich Ludwig Röchling eine Kohlehandlung gründete. Mit dem Einstieg in die Produktion von Koks und Eisen begann der Aufstieg. Auch die heutige Weltkulturerbestätte "Völklinger Hütte" gehörte zur Gruppe. Im Verlauf der Historie hat sich das Unternehmen mehrfach wirtschaftlich neu ausgerichtet. Heute werden mit rund 11.000 Mitarbeitern in den drei Bereichen Automotive, Industrial und Medical 2,14 Milliarden Euro erwirtschaftet.

Teilen auf

Das könnte Sie auch interessieren