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Traum in Strick

Als Junge aus der Provinz macht sich Helmut Schlotterer Ende der 60er-Jahre auf nach Paris. Sein Ziel: Modeunternehmer werden. Sein Label Marc Cain gehört heute zu den profitabelsten in der Branche. Und zu den innovativsten.

Sogar die Feuerlöscher sind weiß, versehen mit einem feinen Marc Cain-Logo-Schriftzug in Schwarz. Beiläufig zeigt Helmut Schlotterer beim Rundgang auf dieses Detail. Eine Kleinigkeit zwar, die aber vieles über Schlotterer und sein Modeunternehmen Marc Cain aussagt. Der 67-Jährige ist endlich angekommen, er hat seit 2007 mehr als 100 Millionen Euro aus dem Cash-flow in den Ausbau des Stammsitzes Bodelshausen südlich von Tübingen investiert. Diese "Cain-City" spiegelt nun seinen Sinn für Ästhetik gepaart mit innovativer Technologie in Produktion und Logistik. Es ist sein Traum in Weiß.

Der Patriarch Schlotterer hat sein Büro im dritten Stock des in Anlehnung an Stararchitekt Richard Meir entworfenen Verwaltungsgebäudes. Der Raum ist weitläufig, der Blick aus den breiten Fensterfronten ebenso. Die meisten Möbel auf dem dunklen Holzfußboden sind weiß, Schlotterer sitzt entspannt auf der modernen Ledercouch und plaudert. "Eigentlich wollte ich gar nicht mehr nach Bodelshausen zurück."

Um den Satz zu verstehen, muss man einige Jahrzehnte zurück. Ende der 1960er-Jahre ist es für einen jungen Mann mit künstlerischer Ader in der ländlichen Provinz schlicht zu eng. Sein Vater ist ein Textilunternehmer, Schlotterer studiert Textiltechnik in Reutlingen. "Ich habe aber schon damals geahnt, dass die Branche hier in der Region keine Chance haben wird." Es fehlte schlicht an Esprit.

Den findet Schlotterer in Paris – man kann sich das heute noch gut vorstellen, wie er als Junge aus der Provinz abends die richtigen Partys und Lokale ansteuert und tagsüber die Gesetzmäßigkeiten der Modewelt aufsaugt. Damals lernt er seine Ehefrau kennen, ein Mannequin aus Düsseldorf. Seit mehr als 40 Jahren beeinflusst sie ihn nun bereits.

Doch diese Leichtigkeit des Seins hat für Schlotterer trotz seiner Jugendlichkeit einen ernsten Hintergrund: "Mein Ziel war immer, selbst Mode­unternehmer zu werden." Nachdem er kreativ von Natur aus ist, die Textil-Technik bereits studiert hat, fehlte ihm noch ein BWL-Studium. München, damals Deutschlands heimliche Hauptstadt, war für ihn der richtige Ort. 1972 macht sich Schlotterer sofort nach dem Examen im alten Ford Granada auf nach Carpi, einem Ort bei Bologna. Dort hat die italienische Strickindustrie ihre Heimat. Er geht Klinken putzen, legt seine erste Textilkollektion auf, gründet Marc Cain - den Namen "leiht" er sich bei einem kanadischen Freund. Schlotterer klingt ihm doch zu provinziell.

Als er 1976 das von der Pleite bedrohte Unternehmen der Eltern übernimmt, kehrt er nach Bodelshausen zurück. Es folgen harte Aufbaujahre. Schlotterer aber schafft es, mit Innovationen, er trotzt den Banken. Heute ist Marc Cain eines der führenden Unternehmen für gehobene Damenmode mit 870 Mitarbeitern allein in Deutschland. Rund 250 Millionen Euro werden umgesetzt, die Gewinnmarge liegt bei gut 18 Prozent. In der Branche ein Traum. Wie er das erreicht hat? "Ich habe eigentlich alles anders gemacht."

Kein Fremdkapital und damit keinen Druck von außen. Marc Cain hat als erster Modemacher italienischen Chic mit deutschem Strick-Produktions-Know-how verbunden. Alles wird aus einer Hand, sprich aus der eigenen Firma heraus, entwickelt, selbst der Ladenbau. Führend ist Schlotterer Mitte der 1980er-Jahre auch, als er den ersten Showroom eröffnet, er hat ab 1986 Marc Cain Stores etabliert und sich internationalisiert, die Export­quote liegt nun bei 60 Prozent. Und er arbeitet seit 1976 mit der heutigen Creative Director Karin Veit zusammen.

Beinahe noch wichtiger: "Wir setzen immer auf innovative Technik." Deshalb arbeiten in "Cain-City" in der in Weiß gehaltenen Produktion die modernsten Maschinen und Systeme. Neuster Coup ist eine Stricktechnik, bei der am Ende ein fertiger Pullover in den Korb fällt. Marc Cain hat bereits Mitte der 90er-Jahre den Digitaldruck im Textilbereich eingeführt. Schlotterer: "Durch meine praktische Erfahrung mit Technik kann ich die Richtung der Entwicklung mitbestimmen."

Also eine Erfolgsgeschichte durch und durch. Eigentlich.

Wer die Pressemitteilungen und Aussagen indes aufmerksam verfolgt, der merkt schnell: Das Jahr 2007 wird als eine Art Referenz genommen. Als ob dort eine andere Zeitrechnung beginnt. Spricht man den sonst so eloquenten Schlotterer darauf an, wird er zurückhaltend. Öffentlich äußert er sich nicht dazu. Klar ist nur, zu dieser Zeit ändert sich die Gesellschafterstruktur, Schlotterer ist nun alleiniger Inhaber. Die Erlebnisse drumherum prägen ihn, haben tiefe Spuren hinterlassen.

Lieber erzählt Schlotterer von seinem Bauprojekten, er hat sich 2010 einen Herrensitz auf Mallorca zugelegt ("Lange halte ich es dort aber nicht aus, trotz Büro mit modernsten Kommunikationsmitteln. Es gibt zu viel Ablenkung von der Arbeit."). Oder seiner Liebe zu schnellen Autos. Oder wie er bis vor einigen Jahren im Ferrari-Cup mitgefahren ist. Sieben Modelle der in jeder Saison neu gestalteten Fahrzeuge stehen auf einer Anrichte in seinem Büro. "Ich habe gegen die jungen Fahrer doch noch ganz gut mithalten können", sagt Schlotterer und schmunzelt.

Überhaupt hat er sich einen jungenhaften Charme bewahrt. Der Plauderton korrespondiert gut mit seinem lässig-eleganten Äußeren, bei dem sogar das Muster des Einstecktuchs im nachtblauen Sakko auf die feine Zeichnung der Knopfleiste des dunklen Hemdes abgestimmt ist. Schlotterer lebt eben von und mit der Mode.

In diesem Sinn hat er noch viel vor. Seine Augen leuchten, wenn er skizzenhaft erläutert, wie Kundenbindung, Produktion und Logistik künftig noch besser aufeinander abgestimmt werden sollen. Er kann damit wieder Maßstäbe setzen. Aufhören? Daran denkt Schlotterer nicht. Für alle Eventualitäten hat das Ehepaar Schlotterer mittels sozialer Stiftung und erweiterter Geschäftsführung das Unternehmen vorbereitet. Doch ansonsten gilt für ihn: "Ich mache weiter, solange es geht." Er lebt eben seinen Traum.

Das Porträt erschien zuerst in der April-Ausgabe 2015 von econo.

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