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Die Hosenmacher

Reutter stellt seit 175 Jahren Bekleidung her, erst auf Maß, dann von der Stange. Die heutigen Geschäftsführer Kristina Reutter-Hopp und Roland Hopp mussten den Betrieb kräftig umbauen. Die Kernkompetenz aber blieb

Für einen kurzen Moment schleicht sich Wehmut in die Stimme von Kristina Reutter-Hopp. Sie führt durch einen großen Raum. „Früher war hier alles voll“, sagt sie beinahe entschuldigend. Reutter-Hopp meint: voll mit Mitarbeitern und Nähmaschinen. Heute sind es noch zwei Näherinnen, die an der Fensterfront stehen. „Sie nähen die Muster“, erläutert die Geschäftsführerin. Der Stolz ist hörbar zurück in ihrer Stimme.

Die 51-Jährige führt mit ihrem Mann Roland Hopp das Familienunternehmen Reutter in Gutach, ein wunderbares Beispiel für die Textilbranche – seit 175 Jahren.

Drei Taler und 54 Kreuzer stellt Christian Reutter der Gemeinde Hornberg im Jahre 1840 in Rechnung für die Anfertigung eines Polizeirocks. „Es ist der erste Beleg, den wir haben“, so Reutter-Hopp. Der bildet den Grundstock für die Dynastie. Angesehene Maßschneider sind sie, beschäftigen bis zu 20 Gesellen und beliefern Kunden zwischen Schweiz und Kurpfalz – in den Wirtschaftswunderjahren stammt die groß­karierte Karojacke von Peter Frankenfeld von Reutter aus Hornberg.

Doch das Wirtschaftswunder hält nicht ewig. Anfang der 1960er-Jahre gibt es die erste Zäsur. Aus den Maßschneidern Reutter wird mit dem Umzug nach Gutach ein Konfektionsbetrieb. „Es war die letzte Chance“, so die heutige Geschäftsführerin in der Rückschau. Klamotten von der Stange sind damals eben schlicht gefragt. Reutter etabliert sich als Spezialist für Damenhosen, der letzte Herren-Anzug verlässt 1967 das Unternehmen.

Die Folgejahre sind golden. Reutter schneidert am Fließband für C&A, Bader, Heine und Schöpflin. 70 Beschäftigte arbeiten im Unternehmen. Vor allem, dass man Stretch-Cord verarbeiten kann, verschafft Reutter volle Auftragsbücher. So voll, dass 1984 der Umzug in einen Neubau am Ortseingang von Gutach erfolgt.

Man muss diese Historie vor Augen haben, wenn man mit Kristina Reutter-Hopp und Roland Hopp im Besprechungszimmer sitzt. Der atmet den Charme der Bauzeit, so wie sich das gesamte Gebäude im Stil der Zeit in die Landschaft am Ufer duckt. Beide übernahmen Anfang der 1990er-Jahre die Verantwortung – eine echte Wahlmöglichkeit gab es nicht. Seitdem ist kein sprichwörtlicher Stein auf dem anderen geblieben. Hopp: „Die gesamte Branche hat sich brutal gewandelt.“ Und die erste Frau an der Spitze musste den Wandel meistern. Denn die Öffnung des Ostblocks hat vielen Unternehmen die Existenzgrundlage entzogen. Billige Arbeitskräfte gibt’s zuhauf. „Bei uns in Deutschland sind vor allem die Arbeitsplätze der Frauen weggebrochen. Die hatten eben keine Lobby“, erregt sich Reutter-Hopp. Und ihr Mann legt nach: "Technologisch waren wir 1990 mit unseren Nähmaschinen weiter wie heute. Eben weil die Arbeitskräfte wenig kosten!" Das Paar redet sich in Rage über ihre Branche, die im aktuellen "Fast-Fashion"-Wahn die Produktion sogar auf Schiffe verlagert, um Zeit zu sparen.

Doch, halt! So bekommt die Geschichte einen zu negativen Touch. Denn Reutter gehört zwar nicht zu den Big Playern der Branche – Reutter-Hopp: "Mit der Einführung einer eigenen Modemarke unter dem Namen 'Kriss' sind wir Ende der 1980er-Jahre gescheitert." – dafür sind die Gutacher mit heute 25 Mitarbeitern als Spezialist für Damen-Oberbekleidung gefragt. Gut 300?000 Kleidungsstücke produziert Reutter mit einem Partner in Rumänien pro Jahr, zu 80 Prozent Hosen. Aktuell wurde in ein neues Logistikzentrum nahe der Produktion investiert. Von Peter Hahn über Walbusch bis Waschbär setzen viele Versender auf die Kompetenz, auch öffentliche Einrichtungen ordern bei Reutter.

Der Erfolg liegt in der Erfahrung der Schneider-Dynastie. Wenn man so will, hat Reutter-Hopp ihre Kernkompetenz mittlerweile im Blut: die Passform. "Jede Marke hat ihren eigenen Ideal-Kunden, an dem die Passform ausgerichtet wird", erläutert die 51-Jährige. Die Königsdisziplin ist es, dieser Passform quer durch alle Größen und Längen gerecht zu werden. Dazu braucht es Erfahrung. Und Wissen: So hat die deutsche Frau in den vergangenen Jahren durchschnittlich sechs Zentimeter an Oberweite zugelegt, aber vier Zentimeter an der Hüfte eingebüßt. Für die Passform entscheidende Zentimeter.

"Schnitte speziell für Hosen lassen sich eben nicht einfach per CAD herstellen", stellt Hopp mit Blick zu seiner Frau fest. Der Blick sagt: Dazu braucht’s Gefühl! Und Leidenschaft für Muster, Schnitte und Stoffe, verrät das kreative Chaos im Büro von Reutter-Hopp.

Neben der Kernkompetenz von Reutter-Hopp gibt es in Gutach die Konfektionierung und den Versand. Hopp: „Wir schicken für jeden Auftrag fertige Pakete mit Stoff, Knöpfen, Gürteln, Reißverschlüssen und selbst den individuell gedruckten Einnähern zu unserem Partner.“ Zurück kommt die fertige Ware, die nach der Prüfung verschickt wird.

Deshalb wird die Geschäftsführerin beim Gang durch die weitläufigen Hallen auch nur kurz wehmütig. Gähnende Leere herrscht nirgends, obwohl es keine Produktion mehr gibt. Überall lagern Stoffballen, stehen versandfertige Pakete, hängen fertige Kleidungsstücke. „Wir haben unsere Nische gefunden“, so Reutter-Hopp bestimmt: "Mit 175 Jahren ist noch lang nicht Schluss."

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