Editorial
Sisyphos ist schon wieder im Tal
Mit der Soforthilfe hat die Politik ein wertvolles Werkzeug auf den Weg gebracht. Doch bei der Umsetzung hätte sie gründlicher arbeiten müssen. Der Teufel steckt im Detail. Und die Kammern müssen es ausbaden.
85.000 Anträge in den ersten 24 Stunden – allein in Baden-Württemberg. Dass die Corona-Soforthilfe dringend ist, sieht man schon an der Zahl derer, die gleich am ersten Tag um finanzielle Unterstützung vom Land gebeten haben.
Sicher, nicht alle Anträge werden es schaffen. Nicht jeder, der ein Geldgeschenk vom Staat will, hat auch einen Anspruch. Das zu prüfen, ist nun die Sisyphos-Arbeit, vor der die 20 Kammern im Land stehen. Sie müssen diesen Bürokratiebrocken einen Berg hochwuchten – und sehen schon jetzt, dass er zurück ins Tal rollt.
So meldet die IHK Reutlingen, dass viele Anträge in die Korrekturschleife gehen. Sie seien entweder unvollständig ausgefüllt oder nicht ausreichend begründet. Wie kann das sein?
Es hat zwei Gründe: Schon bevor die Soforthilfe startete, war klar, dass das Webportal zu Beginn überlastet sein würde. In den ersten Stunden gab es kaum ein Durchkommen. Zu viele Menschen klickten auf die Website. Genau wie beim Run auf die letzte Rolle Klopapier hat man da das Gefühl, sich beeilen zu müssen. Gerade so, als könnte das Portal sich bald schließen und die Zuschüsse vergriffen sein.
Der zweite Grund liegt in der Bürokratie. Ämter und Behörden sind gut darin, sichere Daten zu ermitteln und zu erfassen. Namen und Anschriften, Steuer- oder Mitgliedsnummern, Bankverbindungen. Kein Problem. Geht es aber darum, Empathie zu zeigen, stoßen sie an ihre Grenzen. So auch hier.
Die wichtigste Frage in dem Antrag versteckt sich ganz unten auf Seite 4 von 7: „Grund für die existenzbedrohliche Wirtschaftslage bzw. den Liquiditätsengpass oder Umsatzeinbruch“ – es ist also streng genommen nicht mal eine Frage, sondern eine Überschrift. Die Antwort ist einfach: Corona-Krise.
Doch diese Antwort reicht nicht aus, sagt die Kammer. Im Formular wird zwar kleingedruckt eine „kurze Erläuterung“ verlangt. Garniert mit ein paar Fußnoten, die aber auch keine präzise Antwort darauf geben, wie diese Antwort auszusehen habe. Stattdessen müsste man den Umweg auf eine andere Website gehen und sich dort bis zur richtigen Frage durchwuseln. Umständlich ist das. Das war ein Fehler.
Hier hätte der Staat sich etwas mehr Mühe geben müssen. Eine präzisere Bedienungsanleitung zum Formular wäre direkt hier notwendig gewesen. Den Mehraufwand müssen nun die Kammern ausbaden und mit dem Brocken einen neuen Anlauf zum Gipfel des Berges nehmen. Hoffen wir nur, dass ihnen nicht die Kraft ausgeht.