„Langwierige Prozesse schüren die Unzufriedenheit“

Henriette Stanley im econo-Interview über ihren Start als Chefin der Regionalen Wirtschaftsförderung Schwarzwald-Baar-Heuberg direkt zu Beginn der Pandemie, über die Arbeit an der Markenstrategie, die Ansiedlung eines Großunternehmens und dem Aus einiger Begriffe

 
Foto: Jigal Fichtner für econo
 

Sie kamen ins Amt, dann kam Corona - wie haben Sie diese Zeit erlebt, Frau Stanley?

Henriette Stanley:
Es hat uns und mich natürlich vor große Herausforderungen gestellt und zunächst für viele Fragezeichen gesorgt. Welche Konsequenzen hat es? Was passiert mit unserem Tagesgeschäft? Es war eine Zeit, die ganz schnell, ganz viele Umbrüche notwendig gemacht hat. Wir haben dann das Büro nur zu 50 Prozent besetzt. Ich war die einzige Konstante und jeden Tag im Büro.
Schnell war klar, dass wir aktiv werden müssen, um unsere Zielgruppen zu unterstützen: Das begann mit Aktionen für den Einzelhandel und die Gastronomien bis zu unseren Beratungsangeboten für Fachkräfte. Schnell ein Konzept entwickelt, dann sofort in die Umsetzung - so haben wir uns in der ersten Zeit an die Herausforderungen herangetastet.

Welche Rolle kann eine Regionale Wirtschaftsförderung in diesen Zeiten überhaupt einnehmen?

Stanley:
Wie generell haben wir einen Blick auf die gesamte Region. Wie entwickelt sich was? Gibt es Parallelen? Was funktioniert wo und wie können es andere adaptieren? So haben wir beispielsweise eine Aktion des Tourismus Donaubergland in die Region hineingespielt und das Konzept allen zugänglich gemacht. Dadurch erhielt es noch einmal eine breitere Aufmerksamkeit.

War das Tagesgeschäft, beispielsweise mit dem Welcome-Center, überhaupt möglich?

Stanley:
Das Welcome-Center ist ein gutes Beispiel: Innerhalb von wenigen Tagen konnten beinahe alle Angebote online gestellt werden. Von der Beratung bis zu Veranstaltungen haben wir in kurzer Zeit alles wieder durchführen können und handhaben das so bis heute. Zum Glück ist unser Team bei digitalen Themen sehr affin. Unsere anderen Veranstaltungsformate mussten wir allerdings auf Eis legen. Am Ende haben wir aber für alles eine Lösung gefunden - auch wenn es eine Verschiebung war.

Sie haben gerade die großen Themen angesprochen: Von der geplanten Standortmarketing-Kampagne hat man öffentlich nichts mehr mitbekommen...

Stanley:
Die Regionen-Markenbildung läuft aber tatsächlich weiter! Der Aufsichtsrat hatte das Verfahren ja während der Vakanz in der Geschäftsführung gestoppt, aber nur wenige Tage nach meinem Antritt habe ich mich mit der ausführenden Agentur Gruppe Drei zusammengesetzt und das weitere Vorgehen abgestimmt. Jetzt sind wir in einem stetigen, engen Austausch, treffen uns alle zwei Wochen, mailen häufig. Parallel entwickeln wir im Team auch immer noch mal Ideen, die wir der Agentur weiterleiten. Es läuft also!

Wie ist der Zeitplan? Eigentlich hätte ja schon was vorgestellt werden sollen.

Stanley:
Der interne Zeitplan lautet: im Oktober möchte ich in der Sitzung der Gesellschafter und Aufsichtsräte Vorschläge zur Diskussion stellen können. Das muss dann aber auch wirklich gutes Futter sein.??

Das bedeutet konkret?

Stanley:
Wir brauchen starke Entwürfe, die den langen Prozess rechtfertigen und hinter denen ich stehen kann. Derart langwierige Prozesse schüren immer eine gewisse Unzufriedenheit, darüber hinaus sind wir als Region in Sachen Außenwahrnehmung oft noch ein weißer Fleck. Das müssen wir jetzt rasch ändern.

Sprechen Sie jetzt über ein Diskussionspapier für das Gremium oder über eine echte Entscheidungsgrundlage, mit der am Ende in die Umsetzung gegangen werden kann?

Stanley:
Klar wird das noch eine gewisse Diskussionsgrundlage sein. Die muss aber bereits so konkret sein, dass klar entschieden werden kann mit welchem Ansatz weitergearbeitet werden soll. Wir werden nicht nur ein kleines Logo oder irgendeine Wort-Bild-Marke präsentieren, sondern deutlich darüber hinaus gehen.

Verraten Sie schon ein bisschen mehr? Wird alles Bestehende über den Haufen geworfen?

Stanley:
Was ist für Sie das Bestehende?

Stehen Begriffe wie Gewinnerregion, Gewinnerjob zur Diskussion?

Stanley:
Die gibt es nicht mehr, sie wurden auch offiziell zu den Akten gelegt. Wir arbeiten nun für das Regionen-Marketing auf einem neuen, weißen Blatt. Frei von allen vorherigen Begrifflichkeiten und anderen Dingen. In welche Richtungen es gehen wird, dazu gibt es verschiedene Überlegungen. Der Prozess ist ja eigentlich die Entwicklung einer Dachmarke, die viel aussagen und diese heterogene Region repräsentieren muss, ohne zu abstrakt zu sein.

Der Aufsichtsrat hat das weiße Blatt abgesegnet?

Stanley:
Ja, der Auftrag war klar.

Unterm Strich: Bis Ende des Jahres wird der Öffentlichkeit das Ergebnis präsentiert?

Stanley:
Unser nächster Meilenstein ist die Gremiensitzung im Oktober. Danach sehen wir weiter.

Ein weiteres großes Projekt ist das Regionale Gewerbegebiet bei Sulz am Neckar. Wie ist denn hier der Stand?

Stanley:
Sehr gut. Vor wenigen Tagen haben wir im Gemeinderat in Sulz mit sehr breiter Mehrheit das Votum für das Umlegungsverfahren erhalten. Jetzt können wir richtig in die Arbeit einsteigen und den Prozess anstoßen. Zuvor hing alles irgendwie in der Luft, bestanden noch Unklarheiten, dabei haben wir sogar schon bereits einige Anfragen von Investoren!
In diesem Prozess bin ich auch Jürgen Guse dankbar, der nach wie vor seine ganze Erfahrung als Bürgermeister, Aufsichtsratsvorsitzender der Regionalen Wirtschaftsförderung und zuletzt als deren Interims-Geschäftsführer in diesen Prozess einbringt.

Es gibt tatsächlich Anfragen von Investoren?

Stanley:
Ja, deshalb freut es mich extrem, dass wir nun vorankommen.

Sie verraten nicht wenigstens, aus welchen Branchen?

Stanley:
Aus verschiedenen Branchen...

... also steht die Ansiedlung eines großen Produktionsbetriebs kurz bevor?

Stanley:
Das könnte sein oder doch was anderes. Lassen Sie uns das weitere Verfahren abwarten

Die Idee war ja immer, möglichst viele Arbeitsplätze anzusiedeln...

Stanley:
Arbeitsplätze sind wichtig, ebenso Gewerbesteueraufkommen und weitere Faktoren. Deshalb stellen wir klare Kriterien auf, nach denen die Investoren bewertet werden.

Und wann ist Spatenstich?

Stanley:
(lacht) Jetzt bringen wir erstmal das Umlegungsverfahren hinter uns, das einen komplexen Prozess nach sich zieht.

Das klingt alles so, als hätten Sie sich trotz Corona gut eingelebt. Wo erkennt man außerhalb der Marketingkampagne noch Ihre Handschrift?

Stanley:
Mein zweites großes Thema ist neben dem Marketing die Anwerbung von Fachkräften. Hier haben wir mit dem ältesten Welcome-Center im Land ohnehin eine tragende Rolle. Meine Kolleginnen machen einen so guten Job, besser geht es nicht. Deshalb würde ich gerne noch weitere Felder etablieren, Dual Career liegt mir am Herzen, aber auch der Pflege- und Medizinbereich. Gerade dieses Segment der Nahversorgung ist für die Attraktivität des ländlichen Raums das Fundament.
Da ich zudem die letzten Jahre intensiv in der Fördermittelberatung und -akquise gearbeitet habe, möchte ich aber auch ein solches Angebot jetzt rasch etablieren. Ein dritter weiterer Bereich ist die Vermarktung und Entwicklung von Gewerbeflächen, zunächst machen wir dafür eine Bestandsaufnahme, auf der wir dann als Dienstleister aufbauen können.

Das bedeutet konkret?

Stanley:
Ich möchte ein professionelles Ansiedlungsmanagement etablieren, damit der ganze Prozess in einer Hand liegt und begleitet wird. Interessenten müssen dann nicht selbst von Amt zu Amt laufen. Die Kompetenz dafür haben wir im Team und auf Seiten der Kommunen gibt es auch erste Interessenten für eine derartige Dienstleistungen.

Einen ähnlichen Ansatz gab es schon mal...

Stanley:
Nur weil etwas in der Vergangenheit nicht funktioniert hat, heißt es nicht, dass es in der Zukunft nicht funktionieren kann. Ich mache mich generell frei von der Vergangenheit: Ich bin neu in meiner Position und habe auch in dieser Stelle ein weißes Blatt vor mir, auf dem ich im Rahmen der Möglichkeiten selbst gestalten möchte.

Abschließend: Angesichts der Auswirkungen auf die Haushalte der Kommunen und Institutionen, machen Sie sich Sorgen um das Budget der Regionalen Wirtschaftsförderung?

Stanley:
Bis zu einem gewissen Grad ja. Andererseits wurde mir von Seiten der GesellschafterInnen noch nicht zugespielt, dass man sich aus der Finanzierung zurückziehen will. Wobei unsere Beiträge ohnehin moderat sind. Und wenn wir uns noch stärker als Dienstleisterin etablieren, dann können wir auch eine sinnvolle Kosten-Nutzen-Bilanz darstellen. Darüber hinaus werde ich aber selbstverständlich versuchen, weitere Kommunen als Gesellschafter zu akquirieren – schließlich will die Gesellschaft ja die Gesamtregion abbilden.

Wobei Ihr Budget ja ohnehin auf Kante genäht ist, wenn ich es richtig einordne. Da reißt jeder Euro der fehlt, gleich ein Loch...

Stanley:
Das stimmt schon. Wobei die Situation von jedem verlangt, anders zu haushalten. Das gilt natürlich auch für uns. Deshalb werden wir auch verstärkt auf Fördermittel zurückgreifen. In diesem Bereich habe ich ja einen großen Erfahrungsschatz.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Zur Person:

Henriette Stanley ist seit Anfang März Geschäftsführerin der Regionalen Wirtschaftsförderung Schwarzwald-Baar-Heuberg mit Sitz in Villingen-Schwenningen. Die gebürtige Freiburgerin und Mutter zweier Kinder war seit ihrer Rückkehr nach einem jahrelangen mehrjährigen Aufenthalt in Kanada zehn Jahre Projektmitarbeiterin an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Villingen-Schwenningen.

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