Gründung im Schambereich

Katja Grathwohl und Susanne Roos Lima sind mit Pinke Welle erst wenige Monate am Start – doch sie haben in der Branche bereits ein Umdenken angestoßen. Jetzt stellt sich aber eine wirklich intime Frage

 
Foto: oh
 

Trossingen. Es gibt Themen, die werden am liebsten am heimischen Tisch besprochen. Wenn überhaupt. Die Menstruation ist so eines. Wenn überhaupt, dann wird darüber meist innerhalb der Familie oder unter Freundinnen irgendwie verschämt "was gesagt".

Katja Grathwohl und Susanne Roos Lima sprechen über das Thema ebenfalls am heimischen Tisch, allerdings öffentlich und ohne jede Scham.

Schließlich ist der weibliche Zyklus Bestandteil ihres Geschäftsmodell: Die beiden Jungunternehmerinnen haben Pinke Welle gegründet und entwickeln Periodenunterwäsche. Das zwar erst seit wenigen Monaten, dafür aber mit Ausrufezeichen: "Unsere Angebote werden von den Wettbewerbern stark beachtet und wir haben bereits den Markt verändert."

Um das Thema besser zu verstehen, muss man zunächst zwei Aspekte kennen:

Erstens: Der Markt für Damenhygiene war seit Jahrzehnten beinahe zementiert. Innovationen? Fehlanzeige. Rund 515 Millionen Euro setzt die Branche jährlich um, den Löwenanteil davon kassieren weltweit tätige Konzerne. Der Marktanteil von Tampons liegt bei mehr als 80 Prozent, Deutschland ist hier führend. Aber: Der Markt stagniert, vor allem der demografische Wandel macht sich bemerkbar.

Zweitens: Seit wenigen Jahren tauchen neue Akteure in diesem Schambereich der Konsumprodukte auf. Menstruationstassen machten den Anfang. Inzwischen findet man diese Angebote nicht nur bei eher progressiven Drogeriemärkten wie DM, sondern sogar als Aktion bei Aldi Süd.
Noch jünger sind – in Deutschland zumindest – Angebote wie Periodenunterwäsche. Die 2018 in Berlin gegründete Ooia zählt zu den Pionieren und hat Ende 2019 sogar die Investoren von "Höhle der Löwen" überzeugt.
Kein Wunder, schaut man in andere Länder: In den USA setzt Thinx mit derlei Produkten inzwischen 50 Millionen US-Dollar um, in Australien peilt Modimodi die Umsatzmarke von zehn Millionen Australischen Dollar an (und hat sich sogar mit Facebook wegen dessen so restriktiven wie widersprüchlichen Vorgaben in Sachen "nackter Tatsachen" angelegt, aber das ist eine andere Story).

Derlei Umsätze bieten doch Raum für Phantasien!

Davon zeigen sich Grathwohl und Roos Lima unbeeindruckt. Es ist stimmig, dass das Duo an den heimischen Tisch in einem Wohngebiet bittet, während der wenige Wochen alte jüngste Nachwuchs daneben schlummert. Bei Pinke Welle sind beherrschende Themen weder Investoren, noch Skalierung. Die Gründerinnen agieren anders: "Wir waren unzufrieden" – weniger mit der eigenen Monatshygiene, denn mit der Situation: "Es war Zeit für Veränderungen."

Roos Lima ist Wirtschaftsinformatikerin, trat beruflich irgendwie auf der Stelle, Grathwohl verantwortete in Konzernen das Marketing, bevor sie sich mit Übersetzungen selbstständig machte. Die beiden kennen sich seit 34 Jahren, pflegen seit dem Kindergarten ihre Freundschaft. Kein Wunder also, dass man auch das Thema Veränderung oder "wie wäre es denn wenn…" am heimischen Tisch offen anging.

Vor einem Jahr stand das Überthema fest: Periodenunterwäsche. Roos Lima ist über ihre jugendliche Tochter auf das Thema gestoßen, obendrein befeuerten die "Fridays for Future" mitsamt Plastikmüll auf Halden und in Weltmeeren das Um- und Nachdenken: Produkte für Monatshygiene haben hier ebenfalls einen deutlichen Anteil. Obendrein waren die verfügbaren Alternativen den Gründerinnen nicht sexy genug – aus dem Blickwinkel des Marketings. Gratwohl: "Wir haben schon bei den ersten Recherchen gemerkt, wie altbacken die Angebote damals waren. Es gab eigentlich nur Oma-Unterwäsche!"

Also stiegen die beiden tiefer in die Thematik ein, arbeiteten sich in die unterschiedlichen Stoffe, Materialien und Kennzeichnungspflichten ein. Und sie regten sich darüber auf, wie unzulänglich die Anforderungen an die allgemeinen Hygieneprodukte für Frauen eigentlich sind – "das hat uns noch einmal angespornt, hier eine Alternative zu bieten."

Schnell waren sich die Freundinnen einig, auf Bambus-Viskose für den Oberstoff sowie einen saugfähigen Kern aus Polyester-Mikrofaser zu setzen. "Bambus ist ein nachhaltiger Rohstoff und bietet uns eine Alleinstellung", erläutert Roos Lima. Wobei das Duo beim eigentlichen Design der Wäsche pragmatisch vorgeht: Der innovative Kern wird mit bewährten Unterwäschemodellen eines Herstellers kombiniert. Statt an dieser Stelle das sprichwörtliche Rad neu zu erfinden, fokussiert man lieber andere Kennzahlen: Bis zu 30 Milliliter Menstruationsflüssigkeit fasst die Wäsche, was bis zu drei Tampons entspricht und zwölf Stunden Schutz bieten soll. Einfach auswaschbar ist es obendrein. Passt.

Was auch die Kundinnen denken. Die ersten 1500 Wäschestücke waren innerhalb kürzester Zeit ausverkauft, allein durch Empfehlungsmarketing flankiert mit ein wenig Onlinewerbung. Im heimischen Wohnzimmer unterstützte die Familie das Duo bei Verpacken und Versand der Online-Bestellungen. Die Rückmeldungen der Nutzerinnen (im Alter zwischen elf und (aufgrund der Saugfähigkeit bei Inkontinenz) 85 Jahren) sind laut dem Duo durchweg positiv.

Die weitere Produktion ist deshalb längst angestoßen – bei einem Lieferanten in China: "Anders lassen sich Qualität und guter Preis leider nicht vereinbaren", zeigen sich Grathwohl und Roos Lima von Anfragen bei Produzenten in Europa und Deutschland enttäuscht: "Wenn es aber dennoch einen Weg geben sollte, dann lassen wir gerne hier produzieren!"

An dieser Stelle kurz ein Schwenk zur angesprochenen Konkurrenz: "Wir waren beispielsweise die ersten, die Slips nicht nur in Schwarz angeboten haben", sagen die Gründerinnen und packen das komplette Sortiment aus – unterschiedlichste Formen samt angesagter Highwaist und Spitzenbündchen, aber vor allem Farben von Mint und Pink bis Rot und eben Schwarz liegen nun auf dem heimischen Tisch. Roos Lima: "Inzwischen werden die Produkte der Konkurrenz ebenfalls bunt. Wir werden kopiert!" Ihre Stimmlage schwankt zwischen Empörung und Freude.

Angesichts dieser ersten Erfolge auf unterschiedlichen Ebenen haben Grathwohl und Roos Lima am heimischen Tisch wieder ein Gesprächsthema. Ein wirklich unangenehmes, ja im übertragenen Sinne intimes. Denn es geht um die Zukunft von Pinke Welle. Bislang hat das Duo die Anfänge aus eigenen Mitteln finanziert: "Wir haben nur so viel bestellt, wie es eben ging."

Jetzt müsste man aber skalieren, es gibt inzwischen mehrere Anfragen wie die eines Händlers aus Österreich: "Würden wir ihn beliefern, dann hätten wir aber keine Waren mehr für unseren Online-Shop und andere Anbieter." Sollte man andererseits aber derlei Chancen liegen lassen? Die Erfolge von Ooia und vor allem Thinx machen nachdenklich… Noch diskutiert das Duo – aber Gespräche am heimischen Tisch sind ja erfahrungsgemäß nicht die schlechtesten Grundlagen für Entscheidungen.

Übrigens: Die Pinke Welle nimmt an der ersten Runde der "Gründergarage" der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg teil, econo ist Partner dieser Initiative. Das Duo berichtet über seine Erfahrungen ab Anfang Dezember regelmäßig in einer "Gründerkolumne" auf econo.de.

Teilen auf

Das könnte Sie auch interessieren