„Personaler müssen Menschenkenner bleiben“

Künstliche Intelligenz, Fachkräftemangel und Grundeinkommen: Im econo-Interview erläutert Günter Walter von Liebich & Partner, wie sich Unternehmen richtig aufstellen und was am Ende im Wettbewerb um die besten Köpfe wirklich zählt

 
Foto: Liebich&Partner
 

Wie "bedrohlich" für Ihre Arbeit nehmen Sie Künstliche Intelligenz wahr, Herr Walter? Immerhin setzen Personaler bei Einstellungsgesprächen verstärkt auf die Hilfe von Algorithmen, und Unternehmen mit solchen Serviceleistungen haben regen Zuspruch...

Günter Walter:
Die Berater von McKinsey meinen dazu: "Künstliche Intelligenz im Bewerbungsverfahren ist in Deutschland längst Realität: Bereits drei von zehn Unternehmen setzen darauf und jeder zweite plant den Einsatz." Meine Wahrnehmung: bisher wird Künstliche Intelligenz für die Vorauswahl von großen Bewerbermengen eingesetzt. Diese fallen überwiegend bei Unternehmen wie SAP, Vodafone, Daimler oder BASF an, die als attraktive Arbeitgeber bekannt sind! Unsere Kunden kommen zu uns, weil sie gar nicht genügend gut qualifizierte Bewerbungen erhalten! Der Schwerpunkt unserer Arbeit liegt in der Direktansprache von Kandidaten und der aktiven Vermarktung der offenen Positionen auf unserer Plattform, in Online-Stellenbörsen beziehungsweise Online-Foren.

Generell gefragt: spielen derartige Programme tatsächlich eine wertvolle Rolle?

Walter:
Selbstverständlich können diese helfen, die Vorauswahl zu professionalisieren und zu objektivieren. Auch von uns eingesetzte Bewerberverwaltungssoftware verfügt über solche Elemente. Da wir jedoch überwiegend qualifizierte Fach- und Führungskräfte suchen, werden wir diese Interviews nicht dem Chat-Bot überlassen. Die führen wir schon selbst! Bewerbungen mit entsprechendem Bewerbungs-Video kann ich mir allerdings sehr gut vorstellen. Die große Anzahl der Erstgespräche führen wir heute via Skype und Facetime.

In klinischen Studien hat sich ja gezeigt, dass bei der Erkennung von Krankheiten ein Algorithmus aufgrund seiner "Unvoreingenommenheit" teilweise bessere Ergebnisse erzielt, als ein Arzt...

Walter:
Selbstverständlich sind Algorithmen objektiver, als die immer subjektive Beurteilung durch einen Menschen. Jeder Mensch ist in seiner Wahrnehmung beeinflußt von seinen Prägungen und Erfahrungen. Deswegen können Systeme, sofern sie von den richtigen objektiven Kriterien für das erfolgreiche Ausüben der Tätigkeit ausgehen, objektiv bessere Ergebnisse im Scanning erzielen.

Wo ziehen Sie eine sinnvolle Grenze zwischen der menschlichen Wahrnehmung und dem Elektronen-Gehirn?

Walter:
Die Grenze zwischen Scannen und Auswerten von Fakten einer Bewerbung sehe ich klar in der Bewertung: am Ende trifft der Mensch die Entscheidung. Zwischen den Fakten eines CV und der Passung auf eine Position, gibt es unzählige Synapsen, die kein IT-System oder Algorithmus erfassen kann. Die Personaler müssen Menschenkenner bleiben!

Ein anderer Aspekt im Zusammenhang mit Bewerbungen: Unternehmen wie die Deutsche Bahn haben gute Erfahrungen damit gemacht, bei Bewerbungen auf Anschreiben zu verzichten oder lieber "anonyme" Bewerbungen anzunehmen. Wie schätzen Sie dieses Vorgehen ein?

Walter:
Anonymisierte Bewerbungen werden ja schon etliche Jahre propagiert und sind in bestimmten Bereichen sicherlich sinnvoll. Für den Mittelstand sehe ich hier keinen Vorteil. Spätestens nach Sicht der Fakten, will jeder wissen: wer ist das? Das geht nun mal nicht ohne Geschlecht, Name und Herkunft. Auch ein Foto gehört immer noch zu einer kompletten Unterlagensichtung dazu. Allerdings möchte ich nicht verhehlen, dass es immer noch Vorbehalte gegenüber ethnischer Herkunft, Randgruppen oder Bildungswegen und Hochschulen gibt, die durch eine anonymisierte Bewerbung im ersten Schritt des Verfahrens überwunden werden könnten. Danach kommt aber das Vorstellungsgespräch - und das ist entscheidend. Insofern ist das nicht wirklich ein Thema in der Auswahl.

Mittelständler sollte davon lieber die Finger weg lassen?

Walter:
Der Mittelstand hat das Problem, dass er zu wenig qualifizierte Bewerbungen bekommt. Nehmen Sie den Ausbildungsbereich: Hier gibt es in vielen Regionen und Berufen inzwischen überhaupt gegenüber Bewerbern keine Vorbehalte mehr. Man ist froh über jede*n, der ernsthaftes Interesse an dem Ausbildungsberuf zeigt. Insofern ist dieses Vorgehen für Mittelständler ohne Praxisrelevanz.

Das bringt uns auf den Fachkräftemangel - gibt es den überhaupt? Oder gibt es aktuell nur einen Mangel an für das Unternehmen XY passgenauen Bewerbern? An dieser Frage scheiden sich immer wieder Diskussionsrunden...

Walter:
Selbstverständlich gibt es den Fachkräftemangel: dieser zeigt sich allerdings, je nach Branche, Region und Unternehmen in sehr unterschiedlichen Ausprägungen. Was für Ballungszentren gilt, sieht in ländlicheren Regionen völlig anders aus. Bis zum Jahr 2020 fehlen über 1,2 Millionen Fachkräfte. Das sind Menschen mit einer Berufsausbildung, die über Praxiserfahrung als Facharbeiter verfügen und möglichst Weiterqualifizierungen haben. Der Bedarf an ungelernten Arbeitskräften geht hingegen zurück und auch der Bedarf an Akademikern ist weit weniger hoch. Auch werden diese Positionen nicht in allen Bundesländern gleich verteilt angeboten sein: es ist langfristig eine sogenannte Wanderungsbewegung von Ost nach West und von West nach Süd prognostiziert. In Baden-Württemberg und Bayern sowie in industriellen Ballungszentren wird dieser Fachkräftemangel auf jeden Fall spürbar sein.

Andererseits: Wenn man erlebt, wie sich Unternehmen recht uninspiriert bei Jobbörsen präsentieren oder auf Anschreiben von Praktikanten gar nicht reagieren, dann ist doch fraglich, ob der Druck derart groß ist.

Walter:
Der Druck ist unterschiedlich hoch! Damit sind wir bei der Frage der individuellen Arbeitgeber-Attraktivität. Manche Unternehmen haben tatsächlich noch nicht erkannt, dass SIE sich um die guten Kandidaten bewerben und nicht umgekehrt! Das sieht man zuerst und am deutlichsten beim Umgang mit Bewerbern. Es ist immer noch nicht selbstverständlich, dass Bewerber zeitnah eine Antwort aus der Personalabteilung erhalten. Was klar darauf schließen lässt, daß es immer noch Unternehmen ohne ein professionelles Bewerbermanagement gibt. Die Präsentation in den Jobbörsen ist sicherlich auch nicht immer optimal, aber aus meiner Sicht nicht ausschlaggebend. Viel wichtiger ist der Ruf des Unternehmens als ein attraktiver und fairer Arbeitgeber, der seine Mitarbeiter wertschätzend behandelt.

Sie haben vorhin die Zahl von 1,2 Millionen fehlenden Fachkräften genannt. Es gibt eine noch beeindruckender Zahl: Demnach fehlen bis 2025 2,9 Millionen Arbeitskräfte - das ist bereits in sechs Jahren. Haben wir noch eine Chance, diese Lücke zu schließen?

Walter:
Egal welche Zahl, die Lücke an Fachkräften richtig zu prognostizieren und zu schließen, wird sehr schwierig: seit Jahren ist die duale Ausbildung gegenüber dem Studium zurückgegangen und als wenig attraktiv dargestellt worden. Dabei wäre es für viele Menschen die bessere Perspektive nicht zu studieren, sondern eine solide Karriere als Facharbeiter*in anzustreben. Ganz zu schweigen vom Handwerk, in dem wir den Mangel jetzt schon massiv spüren. Es gibt Reserven, die wir noch nicht ausreichend heben: gut ausgebildete Menschen - vorwiegend Frauen - nach der Kinderphase wieder zügig in das Berufsleben zu integrieren, wäre die eine Möglichkeit. Die zweite: wir brauchen dringend ein Zuwanderungsgesetz für ausgebildete Fachkräfte. Die dritte Chance ist die konsequente Entwicklung der vorhandenen Potenziale, insbesondere bei jungen Menschen, die im Unternehmen vorhanden sind.

Was ist mit den Potenzialen durch Automatisierung und Digitalisierung? Dank dieser Technologien könnte die Lücke deutlich kleiner sein...

Walter: Sicherlich werden die Automatisierung und Digitalisierung helfen, den Fachkräftemangel gegenüber den Prognosen deutlich einzuschränken. Leider sehe ich noch ein anderes Signal: wenn sich die Mobilität wirklich in Richtung weniger Individualverkehr und mehr Elektromobilität ändert, werden wir speziell in Baden-Württemberg und Bayern starke Veränderungen im Automotivsektor erleben. Viele Zulieferbetriebe der Automobilindustrie werden nicht mehr den hohen Bedarf an Arbeitskräften haben, den wir heute noch beispielsweise in den Metallberufen sehen. Die Effekte aus der Digitalisierung brauchen wir dringend, um Abhilfe beispielsweise im Dienstleistungssektor und in der öffentlichen Verwaltung zu schaffen, wo wir einen erheblichen Fachkräftemangel bekommen werden. Warum kann man denn ein Fahrzeug nicht komplett digital anmelden oder ummelden? Das wäre problemlos möglich.

Abschließend: Angesichts dieser Entwicklung - wie halten Sie es mit dem Aufregerthema Grundeinkommen?

Walter:
Wenn durch Automatisierung und Digitalisierung immer mehr einfache Jobs wegfallen werden, brauchen wir sicherlich eine Kompensation in Form einer Ausgleichssteuer. Damit müssen wir vor allem das Bildungssystem und auch die Sozialsysteme unterstützen, weil insbesondere ungelernte Arbeit immer weniger gefragt sein wird. Ich gebe zu - ich bin kein Freund von einem Grundeinkommen. Ich würde das Geld lieber in Bildungschancen für ALLE investieren. Bildung ist der Schlüssel zu Arbeit. Darüber hinaus sehe ich genügend Möglichkeiten, sich im sozialen Bereich und in öffentlichen Aufgaben zu engagieren. Damit erhalten Menschen dann sinnvolle Arbeit und Teilhabe, die die Gesellschaft allerdings auch wertschätzen sollte.

Danke für das Gespräch!

Zur Person: Günter Walter ist Personalberater und seit 2015 Geschäftsführender Partner bei der Liebich & Partner, Management- und Personalberatung in Baden-Baden. Bevor der Diplom-Betriebswirt 2007 als Berater zu Liebich & Partner kam, hatte er jahrelange Verantwortung in führenden Unternehmen unter anderem bei Digitalisierungs- und Change-Projekten.

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