"Ich vertraue dem System"

Wer richtig abgesichert ist, wird auch in der Corona-Krise seinen Schaden ersetzt bekommen, sagt der Rechtswissenschaftler Oliver Brand

 
Foto: Peters
 

Mannheim. Die Wirtschaft ächzt unter der Corona-Krise. Eine mögliche Säule in dieser Zeit könnten Versicherungen sein. Doch wer sich nur routinemäßig abgesichert hat, dürfte kein Geld von der Assekuranz bekommen. Warum das so ist, erklärt der Mannheimer Versicherunswissenschaftler Oliver Brand im Gespräch mit Econo-Mitarbeiter Philipp Peters.

Professor Brand, viele Betriebe müssen auf staatliche Anordnung hin schließen. Bekommen diese nun Geld von der Versicherung?

Oliver Brand:
Das hängt vom individuellen Versicherungsschutz ab. Die meisten Unternehmen werden aber von ihrer Versicherung keine Deckung bekommen, weil sie keinen entsprechenden Schutz gezeichnet haben.

Aber eine Versicherung gegen Betriebsunterbrechung sollte doch jeder haben.

Brand:
In den Policen steht: Der Grund für eine Betriebsunterbrechung muss ein Sachschaden am Versicherungsort sein, der sich durch ein bestimmtes Risiko verwirklicht hat. Ganz klassisch: Die Lagerhalle brennt ab, niemand kann dort arbeiten, die Versicherung zahlt. In der Standard-Versicherung wird auch klar erwähnt, welches Risiko einen Sachschaden verursachen darf, also etwa Feuer, Diebstahl, Sturm oder andere Naturgefahren. Auf den Corona-Virus trifft aber beides nicht zu. Es gibt keinen Sachschaden und eine Pandemie ist auch keines der benannten Risiken. Eine Betriebsschließungsversicherung geht etwas weiter.

Was ist der konkrete Unterschied?

Brand:
Dieses Produkt schließt die Lücken, indem es Risiken absichert, die durch behördliche Schließung zum Zwecke des Seuchenschutzes entstehen. Im Falle des Coronavirus geht es um Maßnahmen nach Paragraph 28 des Infektionsschutzgesetzes. Viele Betriebsschließungsversicherungen decken Schließungen auf dieser Grundlage ab. Wer so versichert ist, hat einen Anspruch. Einige Anbieter decken aber nur Schließungen wegen bestimmter Krankheiten ab.

Der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GDV) sagt, Pandemie-Risiken seien gar nicht versicherbar. Teilen Sie diese Ansicht?

Brand:
Nein. Solche Versicherungen gibt es, es hängt aber von der Ausgestaltung der Versicherung ab. Die Versicherten müssen jetzt in ihre Policen schauen und prüfen, was gedeckt ist. Die meisten Policen haben sogenannte Risikoausschlüsse. Das sind Tatbestände, die dem Grunde nach unter den Versicherungsschutz fallen, die der Versicherer aber nicht abdecken möchte. Etwa weil er die Grenzen der Versicherbarkeit als überschritten ansieht. Gerade für Großkunden gibt es aber auch Allrisk-Policen.

Ohne Ausschlüsse?

Brand:
Korrekt. Aber das sind selten die Standard-Versicherungen. Auch bei Betriebsausfall- und -schließungsversicherungen werden Pandemie-Risiken vielfach ausgeschlossen.

Warum?

Brand:
Die Pandemie ist für die Versicherung ein schwieriger Fall. Versicherung funktioniert nach dem Prinzip der großen Zahl: Ich versichere viele, aber nur ein kleiner Teil davon wird einen Schaden haben. So kann ich die Last auf alle Schultern verteilen. Bei einer Pandemie greift dieses Prinzip nicht mehr. Versicherer sprechen hier von Kumulrisiken, wenn in relativ kurze Zeit hohe Schäden in verschiedenen Versicherungsbereichen auftreten.

Normalerweise sind das Naturkatastrophen wie ein Erdbeben oder ein Hurrikan.

Brand:
Genau. Bei einem Sturm kann ja nicht nur das Haus selbst betroffen sein, sondern auch der darin befindliche Hausrat und das Auto. Wenn das alles denselben Versicherer betrifft, kann er ein Problem mit seiner Risikokalkulation bekommen. Aber Kumulschäden treten glücklicherweise oft nur lokal auf. Dann wird ein Hagelsturm in München von den Versicherten in Hamburg mitgetragen, die nicht vom Sturm betroffen sind. Doch das funktioniert bei der Pandemie nicht. Es gibt keinen Ausgleich im Kollektiv, weil die Betriebsschließungen mittlerweile bundesweit gelten.

Aber wenn diese konkreten Betriebsschließungsversicherungen so selten sind, dann müsste das Prinzip doch wieder greifen?

Brand:
Der Risikoausgleich findet grundsätzlich nur zwischen Versicherten derselben Sparte statt, also innerhalb der Betriebsschließungsversicherung. Der Versicherer kann nicht einfach Prämien aus einer anderen Sparte heranziehen, um Löcher in der Ausfallversicherung zu schließen. Wenn aber Versicherungsschutz wirksam gezeichnet worden ist, dann hat der Versicherte auch einen Anspruch. Ob der Risikoausgleich dann noch funktioniert, hängt davon ab, wieviele Deckungsfälle der Versicherer zu schultern hat. Die Versicherten können sich aber darauf verlassen, dass die Versicherungsaufsicht, also die Bafin, einen starken Blick darauf hat, dass die Leistungsfähigkeit der Versicherer gewahrt bleibt. Versicherer müssen auch mit außergewöhnlichen Risiken kalkulieren. Da sollten auch Pandemien einbezogen sein.

Gibt es dafür einen Präzedenzfall?

Brand:
Die Spanische Grippe ab 1918. Das ist das größte Pandemie-Risiko, das wir mit historischen Zahlen betrachten können. Gerade Personenversicherer müssen bei ihren Risikomodellen mit so etwas kalkulieren.

Sind die Versicherer doppelt getroffen? Sie müssen die Betriebsunterbrechung zahlen und dann auch noch die Lebensversicherung, weil Menschen sterben, die eben noch kerngesund waren.

Brand:
Auf dem Papier ist das natürlich richtig: Die Lebensversicherung ist eine Allrisk-Deckung. Es gibt keinen Pandemie-Ausschluss. Konkret sehe ich dieses Risiko nicht. Schauen Sie auf die Zahlen. Das Durchschnittalter der Corona-Toten in Deutschland lag am 23. März bei 82. Diese Menschen haben in der Regel keine Lebensversicherung mehr. Es wird erst ein Problem, wenn in außergewöhnlich großer Zahl jüngere Menschen sterben. Das war bei der Spanischen Grippe der Fall.

Sie gehen davon aus, dass die Versicherungen zahlen und dies auch können?

Brand:
Ja. Übrigens nicht nur bei gedeckten Betriebsschließungen, sondern auch in der Krankenversicherung. Ich glaube nicht, dass die Versicherungswirtschaft sich aus der Verantwortung stehlen wird.

Haben die Unternehmen das Risiko unterschätzt?

Brand:
Erstmal: nein. Wir haben ja alle nicht damit gerechnet, was jetzt passiert. Die Deutschen gelten als Privatpersonen als überversichert. Unternehmen stellen sich vielleicht aber manchmal etwas schlank auf. Allrisk-Policen waren ja erhältlich. Sie wurden nur selten abgeschlossen.

Was macht der Unternehmer, wenn er sich aufgrund der Police versichert sieht, die Versicherung aber nicht zahlen will?

Brand:
Im Zweifel muss er klagen. Ich glaube aber, dass die Branche zeigen will, dass man sich auf sie verlassen kann. Die Versicherungen können sich als wichtiges, stabilisierendes Element in dieser Krise beweisen.

Und wenn Pandemie-Risiken ausgeschlossen sind?

Brand:
Dann gibt es einen weiteren wichtigen Punkt: die Beratung. Der Versicherte kann sich fragen: Bin ich passend beraten worden? Hat der Versicherer oder Makler nicht ausreichend auf entsprechende Produkte hingewiesen, besteht unter Umständen Anspruch auf Schadenersatz.

Und was mache ich, wenn ich Rechtsschutz und Betriebsschließung beim selben Versicherer abgeschlossen habe?

Brand:
Das ist irrelevant. Der Versicherer muss auch Deckung gewähren, wenn gegen den eigenen Konzern vorgegangen wird. Natürlich gibt es Einzelfälle, bei denen Versicherungen sich falsch verhalten. Aber dafür gibt es den Ombudsmann und als Aufsicht die Bafin. Darum wissen wir, dass in den weit überwiegenden Fällen die Versicherer auch tun, was sie sollen.

Ein großer Teil des Hilfspakets der Bundesregierung ist für Kreditausfälle. Diese sind ja in der Regel auch versichert.

Brand:
Richtig. Kreditausfallversicherungen sind übrigens auch klassische Allrisk-Versicherungen. Da wird nicht gefragt, warum der Kredit verfällt. Das ist eine Sparte, die stark in die Deckung gerät. Aber die Bafin hat das auf dem Schirm und wird es entsprechend überwachen. Versicherungen verkaufen sich prozyklisch.

Werden künftig mehr Unternehmen gründlicher gegen Betriebsschließungen abgesichert sein?

Brand:
Davon ist auszugehen. Wir sehen dass historisch an den Folgen der Terroranschläge vom 11. September 2001. Danach haben viele Versicherer keine pauschale Versicherung gegen Terroranschläge mehr gewährt und stattdessen Zusatzbausteine angeboten. Das kann ich mir nun auch für die Pandemie vorstellen. Und diese Zusatzbausteine werden dann zumindest vorübergehend auch nachgefragt werden. Fazit: Die an sich überversicherten Deutschen haben im speziellen Fall der Betriebsschließung eine Lücke. Wer die nicht hat, wird zu seinem Recht kommen.

Wenn der Versicherer sich sträubt, gibt es genügend unabhängige Instanzen, an die Geschädigten sich wenden können. Einverstanden?

Brand:
Ja. Ich bitte aber auch um Verständnis für die Versicherer. Die Branche musste sich erst auf die neue Situation einstellen, die für alle ja bis vor Kurzem eher phantastisch anmutete. Der ganze Apparat, der sehr auf Daten basiert, musste in kurzer Zeit auf Heimarbeit umgestellt werden. Da mag es passieren, dass bei der großen Anzahl an Anfragen auch mal nur unzureichend oder oberflächlich geantwortet wurde. Ich vertraue aber auf das System.

Zur Person:


Oliver Brand, 45, leitet das Institut für Versicherungswissenschaft an der Uni Mannheim, wo er unter anderem Versicherungsrecht lehrt.

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