"Der Gewinn wäre 90 Prozent höher"

Testo-Vorstandschef Burkart Knospe im Econo-Interview über die Kosten der Digitalisierung und die Geschwindigkeit bei der Entwicklung, die Zukunft des Stammsitzes und den Reiz von Berlin.

 
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Der Umsatz von Testo lag 2016 bei 280 Millionen Euro. Viel mehr an Fakten haben Sie, Herr Knospe, als Vorstandsvorsitzender entgegen den Vorjahren in einer Mitteilung über das abgelaufene Geschäftsjahr nicht rausgelassen. War Testo denn profitabel?

Burkart Knopse:
Wir haben eines neues Rekordergebnis geschrieben, somit war es für uns bei Umsatz und Ertrag ein gutes Jahr. Mehr sagen wir nicht mehr, da nicht jeder die Zahlen richtig einordnen kann.

Die USA sind inzwischen der größte Auslandsmarkt. Mit welchem Anteil?

Knospe:
Gut zehn Prozent des Gesamtumsatzes schreiben wir inzwischen in den USA.

Gibt es einen Trump-Effekt?

Knospe:
US-Präsident Donald Trump kümmert sich glücklicherweise eher um die Leuchttürme, deshalb ist unsere Branche noch unter dem Radar. Wie sich seine ganzen Ankündigungen auf den freien Warenverkehr auswirken werden, das können wir natürlich nicht absehen.

Fürchten Sie mögliche Auswirkungen?

Knospe:
Die Lage ist schwer einzuschätzen. Testo ist ein wenig exponiert, da wir im vergangenen September eine zweite Gesellschaft in den USA gegründet haben, die in den kommenden Jahren erhebliche Anfangsverluste einfahren wird. Irgendwann müssen wir natürlich das Geld wieder einspielen. Deshalb wäre uns ein protektionistisches Verhalten gar nicht recht. Doch bei allen Unwägbarkeiten gilt: Wir müssen nach vorne schauen und machen. Abwarten bringt in der Wirtschaft nichts.

Und so groß ist der Anteil der USA ja nicht...

Knospe:
Das stimmt zwar, aber wir sprechen über zwei, drei Millionen Euro Defizit pro Jahr aus der neuen Gesellschaft. Das muss man andernorts erst einmal erwirtschaften.

Wird Testo in den USA auch produzieren?

Knospe:
Das lohnt sich eigentlich nicht. Maßgeblich für unser Geschäft sind Beratung, Kalibrierung und weitere Dienstleistungen. In Relation entstehen in der Produktion in Deutschland und China Arbeitsplätze für 15 Menschen, in den USA für bis zu 50. Man kann es so sagen: Wenn wir unsere Produkte nicht mehr in die Vereinigten Staaten importieren dürften, dann würden weltweit 15 Arbeitsplätze verloren gehen, in den USA aber 50. Die Wirtschaft ist eben komplizierter, als man gemeinhin wahrnimmt.

Welchen Anteil am Wachstum haben smarte Produkte?

Knospe:
Wir haben unter anderem eine neue Produktlinie auf den Markt gebracht, die nennt sich Smart Probes. Diese Messgeräte haben überhaupt kein eigenes Display, keine Knöpfe mehr, sie werden rein übers Smartphone bedient. Die Linie kam im Frühjahr 2016 auf den Markt und hatte bereits Ende März bereits ihr Jahresziel erreicht. Die ist richtig gut gelaufen. Insgesamt aber liegt der Anteil der Produkte mit App und Cloud noch unter zehn Prozent.

Das ist überschaubar. Wie groß ist denn das Interesse in den verschiedenen Märkten daran?

Knospe:
In den USA ist das Interesse an den Smart Probes besonders hoch gewesen. Das passt dort eben zum Lifestyle. Aber auch in Deutschland kam das Produkt sehr gut an. Man muss bei Testo aber eher den Zielmarkt betrachten: Handwerker und Techniker. Da gibt es eine gewisse Gruppe, die ist neuen Technologien gegenüber sehr aufgeschlossen ist, andere nutzen ihr Smartphone nur zum Telefonieren. Wobei man sagen kann: Je komplexer das Produkt, desto zurückhaltender sind die Anwender für smarte Technologien.

Wie kommt Testo generell mit der Digitalisierungsstrategie voran?

Knospe:
Wir haben die Strategie in der ganzen Konsequenz erst im vergangenen Jahr verkündet. Aktuell laufen Pilottests für ein spezielles Angebot zum Qualitätsmanagement von Restaurantketten. Dieses Produkt kommt innerhalb des nächsten halben Jahres auf den Markt. Hier kommt uns insbesondere im Lebensmittel- und Pharmabereich zugute, dass die Kunden Anwendungen zur Dokumentation aus einer Hand wollen. Da sind wir mit unseren Fähigkeiten von der Messtechnik über Cloud-Anwendungen bis zur Datenübertragung über kurze Funkwege natürlich als Anbieter prädestiniert.

Kurz zum Mitschreiben: Bei der ersten Anwendung hat Testo bis zur Markreife nur zwölf Monate benötigt? Das ist schnell!

Knospe:
Das ist sehr schnell.

Hätten Sie das erwartet?

Knospe:
(schmunzelt) Ehrlich, nein! Die Geschwindigkeit hat viel damit zu tun, dass wir über eine Systemarchitektur sprechen. Und hätten wir versucht, die smarten Anwendungen hier am Stammsitz zu machen, dann wären wir noch lange nicht so weit. Wir haben uns im Spätjahr 2015 entschieden, einen Standort in Berlin aufzumachen. Dort können wir deutlich leichter IT-Fachkräfte einstellen. Inzwischen beschäftigen wir bereits 30 Programmierer in dem Büro und werden bis Ende 2017 rund 50 haben. Wir müssen jetzt sogar schneller größere Flächen anmieten. Ohne Berlin wäre unsere Innovationskraft um einiges geringer.

Wenn es stimmt, dann punktet Testo in Berlin mit Werten wie Wurzeln, Inhabergeführt, solide finanziert, für die aber kein Programmierer in den Schwarzwald ziehen würde - eigentlich denkt man doch, diese Start-up-Welt tickt anders...

Knospe:
Wer in einem Start-up anfängt, der muss mit zwei Fakten zurechtkommen: Er bekommt nur die Hälfte des Geldes und muss doppelt so viel arbeiten. Dafür erhält man einen kleinen Anteil am Traum von der möglichen gigantischen Marktchance. Nun gehen viele Start-ups den Bach runter und der Traum ist aus. Wer dieses Spiel einige Male mitgemacht hat, der sucht eher ein seriöses Unternehmen, das am Ende des Monats Geld ausbezahlt - was auch eine etwas gelassenere Familienfinanzplanung erlaubt. Das ist unsere Nische.

Von diesen Start-up-Müden liebäugelt aber keiner damit, an die anderen Testo-Standorte nach Lenzkirch oder Titisee-Neustadt zu wechseln?

Knospe:
Keine Chance. Wir haben ja bereits Schwierigkeiten, die Mitarbeiter von Freiburg aus an die anderen Standorte zu bekommen. Abgesehen davon, dass beispielsweise die anstehende einjährige sanierungsbedingte Sperrung der Höllentalbahn zusätzliche Hürden aufbaut.

Zur Digitalisierungsstrategie gehört auch, Testo-Mitarbeiter zu Programmierern umzuschulen.

Knospe:
Das Projekt ist in 2015 bereits abgeschlossen worden. Wir haben 30 Mitarbeiter, die vorher Firmware programmiert haben, umgeschult, um im Bereich Cloud und App fit zu werden. Das ist sehr gut gelaufen. Das können wir leider nicht beliebig oft wiederholen, da nicht jeder Mitarbeiter geeignet ist. Dafür braucht es ein Grundverständnis der Materie. Man macht eben beispielsweise aus einem Marketingmenschen keinen Programmierer.

Ist das nicht die Herausforderung für die Zukunft? Schließlich braucht es künftig mehr Programmierer und weniger Menschen in der Verwaltung oder ähnlich routinierten Jobs...

Knospe:
Aus makroökonomischer Sicht gebe ich Ihnen Recht. Es ist eine wichtige Aufgabe, auf politischer Ebene für die zukunftsorientierte Qualifikation von Menschen auch durch Fortbildungen zu sorgen. Für uns als einzelnes Unternehmen ist es schlicht einfacher, wenn wir woanders ein Büro eröffnen.

Wie hoch sind die Kosten für die Digitalstrategie?

Knospe:
Das lässt sich nicht genau beziffern, da unterschiedlichste Bereiche in die Strategie einbezogen werden. In 2017 steigern wir beispielsweise die Personalkosten deutlich mehr als die Umsätze. Unterm Strich: Wenn wir die Solution-Strategie nicht verfolgen würden, dann wäre unser Gewinn in 2017 um 90 Prozent höher. Das ist sehr viel.

Wenn Testo es nicht machen würde, dann würden in einigen Jahren andere Anbieter die Gewinne einstreichen...

Knospe:
Das ist das große Privileg des Mittelstandes. Wir achten auf die langfristige Zukunftsfähigkeit, deshalb investieren wir mit Kalkül. Als Familienunternehmen sagen wir: Uns persönlich geht es gut, wir brauchen nicht noch mehr, also schauen wir lieber, wie wir das Unternehmen voranbringen. Deshalb werden in 2017 die Gewinne niedriger sein als in 2016, da war das Ergebnis auch schon niedriger geplant.

Was bedeutet denn das Geschäftsfeld Solutions konkret?

Knospe:
Für uns bedeutet es, dass wir in den Bereichen Lebensmittel und Pharma nicht mehr allein das Messegerät verkaufen, sondern ganzheitliche Lösungen anbieten. Wir ermöglichen mit unseren Solutions komplette Qualitätssicherungs-Dokumentationen. Das bedeutet konkret: Wir entwickeln, produzieren, liefern und installieren die Sensoren, wir planen und projektieren, wir kalibrieren und wir schaffen Schnittstellen zu anderen Lösungen des Kunden. Für den Kunden bedeutet das: Er hat nur einen Ansprechpartner, nämlich uns.

Für Testo bedeutet das auch: Die Messtechnik ist nur noch ein Teil des Angebots...

Knospe:
Das ist richtig. Es bleibt ein wichtiger Teil, aber am Ende geht es um den Umgang mit Daten und deren Bereitstellungen zur richtigen Zeit für den richtigen Anwender.

Laut einer Pressemitteilung soll der Bereich Solutions eine "tragende Säule" werden. Was bedeutet das?

Knospe:
Wir gehen davon aus, dass wir mit Solution bis 2020 beim Umsatz im hohen zweistelligen Millionenbereich liegen werden. Das sind nur noch vier Jahre Zeit. Damit wird es einer unserer wichtigsten Wachstumstreiber.

Dann muss Testo aber mächtig Tempo machen! Denn zunächst muss ja auch den Kunden das neue Geschäftsfeld schmackhaft gemacht werden.

Knospe:
Ja, das wird eine große Herausforderung. Deshalb bin ich ja auch so froh, dass wir in unserem Forschungs- und Entwicklungsbereich so gut aufgestellt sind. Und wir gehören zu den Pionieranwendern der Cloud-basierten Anwendung von Qualitätsmanagementdaten, denn dieses Geschäftsfeld ist noch sehr jung. Deshalb ist es ein Wettrennen, bei dem wir eine gute Ausgangsbasis haben, aber eben nicht allein im Starterfeld stehen.

Wie groß ist Ihre Sorge vor disruptiven Start-ups, die Ihr Geschäftsmodell ins Wanken bringen können?

Knospe:
Vor disruptiven Ansätzen haben wir weniger Sorge, wir sind hier selbst sehr disruptiv unterwegs. Aber es gibt tatsächlich kleine Wettbewerber, die in den vergangenen Jahren zunehmend in den Markt gedrängt sind. Die haben häufig gute Ideen, aber zu wenig Ressourcen. Dennoch: Unser Vorsprung ist endlich, deshalb ist die Geschwindigkeit so wichtig. Und ich werde durchaus nervös, wenn diese kleinen Unternehmen von einem großen Unternehmen gekauft werden. Das ist in den USA jetzt zwei Mal passiert. Das kann schnell zu einer Machtverschiebung führen.

Wie verändert die Digitalisierung die Wertschöpfung innerhalb von Testo?

Knospe:
Wir verändern uns sehr stark. Wenn wir eine typische Solution-Lösung nehmen, dann beträgt der Umsatz mit Hardware nur noch 30 Prozent. Der Rest sind Software und Dienstleistung.

Was bedeutet das für die Standorte - ist Berlin damit wertvoller?

Knospe:
Das würde ich so nicht ausdrücken. Wir haben nach wie vor drei relevante Komponenten: Hardware, Software und Dienstleistung. Alle drei Themen müssen gut funktionieren, nur wenn das gegeben ist, werden wir Erfolg haben. Deshalb hat kein Standort eine exponierte Stellung.

Aber Daten werden künftig aber wertvoller und damit wäre doch zukünftig Berlin als Konzernstandort stimmiger?

Knospe:
Ja, Daten werden wertvoller. Aber Solutions ist nur ein Teil unseres Geschäftsmodells. Beispielsweise werden wir auch in Zukunft noch mit klassischen Messgeräte für Handwerker wachsen. Deshalb wird auch der Schwarzwald für uns seine Bedeutung behalten.

Danke für das Gespräch, Herr Knospe!

Die Fragen stellte Econo-Chefredakteur Dirk Werner

Testo wurde 1957 gegründet und ist nach eigener Aussage Weltmarktführer für portable Messtechnik. Das Unternehmen beschäftigt rund 2500 Mitarbeiter. Der Stammsitz des Unternehmens ist Lenzkirch, die Niederlassung in Titisee-Neustadt wird aktuell für 30 Millionen Euro im zweiten Bauabschnitt erweitert. Dort wird Platz für weitere 300 Arbeitsplätze geschaffen. Zudem ist in dem Erweiterungsbau ein Ausstellungsbereich für die Solutions-Anwendungen von Testo geplant.

Ein Porträt über Burkart Knospe finden Sie hier.

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