Das Phantom der Solarbranche

Paukenschlag inmitten der Krise: Eine Schweizer Unternehmensgruppe investiert rund 100 Millionen Euro in eine Solarzellenfertigung in Schorndorf. Kann das gut gehen?

 
Foto: Jigal Fichtner
 

Dem Ende folgt der Anfang. Sogar unmittelbar. Als die Unternehmen Bauknecht und Solarcell Mitte Januar zur Pressekonferenz laden, beschleicht die Ersten schon eine leise Ahnung. Das Ergebnis: Der zum Whirlpool-Konzern gehörende Hausgerätehersteller Bauknecht schließt seine Waschmaschinenproduktion in Schorndorf. Stattdessen will nun das Schweizer Unternehmen Solarcell die Fabrik nutzen, um Solarzellen zu produzieren. Das Ende der Bauknecht-Ära überlagert in den folgenden Tagen die Berichterstattung. Dabei ist Solarcell die eigentliche Sensation.

Rund 70 Millionen Euro will das völlig unbekannte Unternehmen aus der Schweiz in den neuen Standort in der Daimler-Stadt investieren. 180 der 300 Bauknecht-Mitarbeiter sollen im kommenden Jahr Solarzellen statt Waschmaschinen zusammenbauen. Insgesamt drei Fertigungslinien sollen bis 2013 entstehen, bis 2014 wird für weitere 30 Millionen Euro eine vierte Linie folgen. Gesamtkapazität: mehr als 400 Megawatt.

Wer ist das? Die Solarbranche, derzeit von Schreckensmeldungen gebeutelt, kommt aus dem Staunen nicht heraus. „Das Unternehmen ist komplett unbekannt“, sagt der Chef eines re­gionalen Solarunternehmens. „Nie von gehört“, so ein anderer Branchenkenner.

Ungläubiges Kopfschütteln überall: 70 Millionen Euro für eine Zellen-Fertigung in Deutschland? Die chinesische Übermacht? Der massive Preisverfall für Solarmodule? Die drohenden Subventionskürzungen? Und wer oder was ist eigentlich So­larcell? Das Schweizer Solar-Phantom hat die Branche kräftig durcheinandergewirbelt.

Jürg Tschofen ist ein geduldiger und höflicher Mann. Der 45-­jährige Schweizer beantwortet Frage um Frage, ruhig und gelassen. Die Ungläubigkeit der Branche wundert ihn nicht.

Der Verwaltungsrat von Solarcell ist selbst erst seit eineinhalb Jahren im Unternehmen, das zur Schweizer Solar-Industries-Gruppe gehört, die ihren Sitz in Niederurnen im Kanton Glarus hat. Das Ziel ist klar: Mit den Multi-Millionen-Euro-Invests soll ein echter Schweizer Solarkonzern aufgebaut werden. „Wir streben eine komplette vertikale Integration an. Das heißt, dass wir von der Fertigung der Solarzellen bis zum Vertrieb alles in der Solar-Industries-Gruppe bündeln. Das sichert uns strategische Vorteile“, sagt Tschofen. Bislang kauft die Gruppe Solarzellen von Zulieferern ein. Das soll Ende 2012 Vergangenheit sein. Von Schorndorf aus sollen die Produktionsstandorte in Europa dann mit Zellen made in Germany versorgt werden.

Dass ihn und seine Firma niemand kennt, kann Tschofen nachvollziehen. „Wir sind im deutschen Markt noch relativ dezent vertreten, bauen derzeit eine Vertriebsstruktur auf.“ Bislang nämlich sind die Geschäfte der Vetriebs­tochter SI Solution aus Puchheim bei München höchst überschaubar, die Marke sogar in Expertenkreisen unbekannt.

Die Strategie. Doch die Schweizer haben einen Vorteil: Sie haben Geld. Viel Geld. Innert weniger Monate hat Solar Industries seit Ende 2010 dreimal das Kapital erhöht. „Die Kriegskasse ist gut gefüllt, um weitere Initiativen zu lancieren“, sagt Tschofen. „Zudem haben wir nicht gesagt, dass wir bei Bedarf keine weiteren Kapitalerhöhungen durchführen.“ Der Blick auf die Eigentümer gibt dem Phantom Gestalt. Die Beteiligungsgesellschaft New Value ist mit rund einem Drittel größter Aktionär.
Hinter New Value wiederum steht der Schweizer Unternehmer und ehemalige Banker Rolf Wägli. Bis Mitte 2011 saß er im Verwaltungsrat von Meyer Burger, einem Schweizer Hersteller von Produktionslinien für die Solarindustrie.

Wägli hat Erfahrung in der Branche und die 3S Swiss Solar Systems, einen Anlagenhersteller von Solarmodul-Laminatoren, groß gemacht, an die Börse gebracht und 2010 in den Meyer-Burger-Konzern fusioniert, einem absoluten „Big Player“ unter den Zulieferern. Mit Solar Industries folgt der nächste Schritt: Raus aus dem Schatten des Zulieferermarkts, mitten ins Rampenlicht des Solarmarkts – auch wenn der aktuell die Strahlkraft einer Energiesparlampe hat. „Der Markt steht komplett still“, sagt der Chef eines regionalen Solarunternehmens zu Econo. „Alle warten ab, wie sich weltweit die Lage entwickelt. Mit Solar Industries macht sich Meyer Burger mithilfe von Investoren den Markt einfach selbst.“

Ein riskantes Spiel. Die Schweizer gehen mit großem Selbstbewusstsein voran. „Ich will nicht sagen, dass wir es besser machen“, erklärt Tschofen. „Wir machen es anders. Zudem hat unsere schweizerische eher bedächtige Vorgehensweise auch Vorteile. Wir können von Fehlern von anderen lernen und die weitere Marktentwicklung in unser Denken einbauen.“ Der aktuelle Preisverfall sei „gut“, denn: „Die Solarindustrie muss sich von den Subventionen lösen und endlich ein normaler Wirtschaftszweig sein.“ Er gibt zu bedenken: „Die Preise schrumpfen, nicht die Märkte.“

Für den Angriff rüstet sich die Gruppe mit ehrgeizigen Investitionen: Im vergangenen Jahr hat Solar Industries in Freiburg das ehemalige Technologie- und Servicezentrum von Somont, die zuvor zum Meyer-Burger-Konzern gehörten, übernommen. Hier werden derzeit Solarmodule montiert. Bis Ende 2012 soll die Zahl der Mitarbeiter auf 40 anwachsen, der Umsatz von sieben auf 25 Millionen Euro steigen, sagt Matthias Schoft, CEO der Solar-Industries-Tochter SI Module.

Während in Freiburg die Module für den deutschen Markt hergestellt werden, baut die Gruppe im schweizerischen Langenthal gerade eine Modulproduktion für den Schweizer Markt. Solar Industries will das Geschäft lokal aufziehen, sagen Tschofen und Schoft. „Wir glauben daran, dass die Konsumenten bereit sind für ein deutsches oder schweizerisches Produkt einen moderaten Aufpreis im einstelligen Prozentbereich zu bezahlen“, sagt Tschofen. Das Ziel von Solar Industries ist also die Nische: Solar made in Germany oder Switzerland. Von Großprojekten lasse man die Finger, die Zielgruppe seien Haushalte, Handwerker, kleine Firmen.

Markt, Zielgruppe und Philosophie sind das eine. Doch ohne ein gutes Produkt ist alles nichts. Hier könnte Solar Industries ein wirkliches As im Ärmel haben: Wirkungsgrad und die Qualität der Zellen soll den chinesischen Massenprodukten überlegen sein. Und: Neben Standardmodulen stellen die Schweizer eine Modullinie her, die herkömmliche Dachziegel ersetzt. „Da offenbar eine wirkliche innovative Technologie im Spiel ist, könnte der Deal aufgehen“, mutmaßt auch der Solar-Boss.

Zurück nach Schorndorf. Ausgerechnet in einer Waschmaschinenfabrik sollen Solarzellen hergestellt werden? Worüber in der Branche der Kopf geschüttelt wird, ist in Wirklichkeit Ausdruck der deutschen Solarmalaise. Denn eine deutsche Fertigung zu kaufen, stand für die Schweizer nur kurz zur Diskussion. „Die deutschen Solarfirmen haben ein Problem: Durch die jahrelange Förderung von Produktionsstandorten haben viele nicht ausreichend wirtschaftlich gedacht“ sagt Tschofen. „So gut die Förderung war, um die Solarindustrie zu etablieren, so gefährlich ist sie: Sie verleitet Firmen dazu, nicht genügend scharf zu kalkulieren.“ Denn Geld ist nun keins mehr da. Heißt: Die Maschinen der Deutschen sind zu alt und damit zu schlecht für die Pläne der Schweizer. Der Großraum Stuttgart indes sei der Top-Standort, den „wir gesucht haben“, sagt Tschofen.

Allerdings gelten Produktionskapazitäten unter einem Gigawatt wie die in Schorndorf geplante bereits heute als unrentabel. Und die Bauknecht-Mitarbeiter müssen erst aufwendig in die diffizile Technik eingelernt werden. „Das ist die eigentliche Herausforderung“, so ein Insider. Erst die Zeit wird zeigen, ob die Rechnung des Phantoms aufgeht.

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