Baustelle Beiersdorf

Der Nivea-Konzern baut um. Er konzentriert sich auf die blaue Dose und stößt andere Marken ab. Das Juvena-Werk in Baden-Baden bekommt die Strategie deutlich zu spüren.

 
Foto: Jigal Fichtner
 














Baden-Baden/Hamburg. 
Die dunkle Vorahnung hatte es gegeben. Schon im September wabert das Gerücht durch das Baden-Badener Juvena-Werk, dass der Mutterkonzern Beiersdorf sich von seinen Marken Juvena und Marlies Möller trennen würde. Es ist ein Schock für die Mitarbeiter. Die Unsicherheit über die Zukunft des Werks, sie frisst sich in die Belegschaft.

 

Als Ende September erste Berichte über den Verkauf erscheinen, wiegelt Nikolas Brink noch ab: Alles Gerüchte, sagt der Mann, der erst im  August an die Spitze des Werks gerückt war und zuvor bei verschiedenen Stationen seiner Karriere Projektleiter war. War die Abwicklung des Beiersdorf-Standorts Baden-Baden sein neuestes Projekt?

 

Der Verkauf. Nein, heißt es aus dem Konzern. Zum Zeitpunkt von Brinks Amtsantritt sei der Verkauf der beiden Marken noch nicht beabsichtigt gewesen. „Erst im Oktober sind die Gespräche aufgenommen worden“, berichtet ein Insider Econo. Dann aber geht alles ganz schnell. Innerhalb von zwei Monaten steht der Verkauf an den österreichischen Konzern Troll Cosmetics fest. 

 

Das verwundert schon. Zwar nimmt der Nivea-Hersteller generell keine Stellung zur Situation einzelner Marken. Intern heißt es jedoch, zumindest bei Juvena seien Verluste angefallen. Selbst der Relaunch der Marke im Jahr 2009 hat keine Verbesserung gebracht. Denn er fällt genau in die Zeit der Wirtschaftskrise. Die damit einhergehende Konsumflaute trifft Juvena hart. Marlies Möller sei knapp über der Null gelandet. „Das Werk ist ganz klar nicht defizitär“, sagt hingegen der Werksbetriebsrat Thomas Beutel. 

 

Was Troll Cosmetics für die beiden etablierten Marken nach Hamburg überweist, bleibt geheim. Weder am Beiersdorf-Sitz noch im österreichischen Schwarzach will man den Deal kommentieren.

 

Vier Tage vor Weihnachten kommt für die Belegschaft schließlich die Gewissheit. Auf einer Betriebsversammlung teilt die Werksleitung den Verkauf mit. Es dauert nicht lange, da schiebt Brink nach, dass nun auch der Standort einer Analyse unterzogen werde. „Ergebnisoffen“, wie es heißt. Auf Arbeitnehmerseite will daran niemand so recht glauben: „Der Konzern entscheidet doch nicht über den Verkauf von Marken,
ohne zu prüfen, was danach passiert“, ist sich Gabriele Katzmarek, die Karlsruher Bezirksleiterin der Gewerkschaft IG BCE, sicher.

 

Das Ergebnis der Analyse überrascht dann auch niemanden. „Wenn man sagt, dass man so eine offensive Standortanalyse macht, dann zeichnen sich schon dunkle Wolken ab“, sagt Konzernbetriebsratschef Thorsten Irtz, der zugleich stellvertretender Aufsichtsratschef ist. Auch die Reihenfolge des Vorgehens – erst der Verkauf, dann die Standortüberprüfung – sorgt für Unmut. „Hätte man das andersherum gemacht, wäre das offen und ehrlicher gewesen. Das hat man jetzt aber auch eingesehen.“

 

Mehrere Teams spielen fünf Szenarien durch, am Ende empfehlen sie, das Werk zu schließen. „Die Standortanalyse hat ergeben, dass die stark spezialisierte Produktion in Baden-Baden keine Möglichkeit hat, langfristig wettbewerbsfähig zu sein“, erklärt Beiersdorf-Sprecher Ralph Esper. „So kann beispielsweise die Produktionsfläche nicht erweitert und ausgebaut werden. Auch entsprechen die baulichen Rahmenbedingungen am Standort nicht mehr dem Stand, den moderne Produktionstechniken benötigen.“ Beiersdorf hat zu wenig in den Maschinenpark investiert, schimpft die Arbeitnehmerseite.

 

Das Juvena-Werk kann nur kleine Losgrößen produzieren, noch dazu mit viel Handarbeit. „Einen Massenmarkt, wie bei Nivea, können wir nicht bedienen“, weiß Betriebsrat Beutel. Das treibt die Stückkosten in die Höhe. „Wir haben in Baden-Baden viele Umrüstanlagen. Während wir in unserem Werk in Berlin ohne große Umrüstung 220 Stück jeder Marke in der Minute herstellen können, haben wir in Baden-Baden erst einmal einen Stillstand von vier Stunden“, berichtet Konzernbetriebsrat Irtz.

 

„Aber diese Flexibilität und die Möglichkeit, kleine Mengen kurzfristig zu produzieren, das ist eben auch die Stärke des Standorts“, betont Gewerkschafterin Katzmarek. Die Arbeitnehmer hoffen, dass Beiersdorf genügend Argumente für einen Verkauf des Werks an einen Investor findet. Sechs Monate haben sich die Hamburger für die Suche nach einem Käufer Zeit gegeben, nachdem Beschäftigte vor der Hauptversammlung Ende April für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze demonstrierten.

 

Denn eigentlich sollte das Werk geschlossen werden. Und Punkt. „Die haben uns immer vorgerechnet, dass die Rendite nicht stimmt“, erzählt Werksbetriebsrat Beutel. Das gilt aber nicht nur für den Standort Baden-Baden, sondern für den gesamten Konzern. 

 

Die Probleme. Es ist nicht das einzige Problem bei Beiersdorf: „Es ist kein Geheimnis, dass wir mit dem Umsatz nicht zufrieden sind“, sagt Konzernbetriebsrat Irtz. Zwar steigt der über die Jahre kontinuierlich an, doch der Hersteller von Nivea, Eucerin, La Prairie, Hansaplast, Labello, Tesa und mehr hinkt seinen größeren Wettbewerbern Procter & Gamble, L’Oréal oder Henkel hinterher. Die Ebit-Umsatzrendite, vom Konzern neben Umsatz und Marktanteil als wichtige Steuerungszahl angesehen, ist im Sinkflug.

 

Warum? „Man hat sich arg verrannt in seinen Marken. Wir sind von dem Label Blau und Weiß zu sehr ins Bunte gegangen. Beiersdorf ist wild in der Gegend herumgeirrt, um andere Käufer an sich zu binden“, analysiert Irtz.

 

Die Strategie schlägt fehl. Das erkennt auch der Vorstand und zieht die Notbremse. „Focus on Skin Care. Closer to Markets“, heißt die Strategie. Frei übersetzt: zurück zu den Nivea-Wurzeln und näher ran an die Märkte.

 

Der ganze Konzern wird umgebaut. Marken abgestoßen, der Vorstand umgebaut, ein dreistelliger Millionenbetrag in die Werbung investiert. 270 Millionen Euro veranschlagt Beiersdorf für seine Rückbesinnung.

 

Die Hoffnung liegt auf den stark wachsenden Märkten im Osten. Im Vergleich zur Konkurrenz ist Beiersdorf hier wenig präsent. Jetzt haben sich die Hamburger den chinesischen Haarpflegehersteller C-Bons einverleibt.
Die Neuerwerbung sei „für Beiersdorf wichtig, weil sie insbesondere eine umfängliche Vertriebsplattform zur Verfügung stellt“, erläutert Beiersdorf-Sprecher Esper.

 

Fokus auf Europa. Noch erzielt Beiersdorf fast zwei Drittel seines Umsatzes in Europa. Und dieser Markt ist schwierig, auch für Nivea. Die Wirtschaftskrise wurde auch zur Konsumkrise. Besonders die teuren Pflege- und die Make-up-Produkte des Konzerns – La Prairie, Marlies Möller und Juvena – litten darunter.

 

„Nach der Krise sind die Kunden anders in die Märkte zurückgekommen“, berichtet Arbeitnehmervertreter Irtz. Die einen kaufen noch teurere Produkte, anderen ist selbst Nivea zu teuer. Davon profitieren die Handelsmarken. „Die haben ihren Markt erobert“, sagt Irtz, „stagnieren aber.“

 

Das ist die Chance von Nivea. Eine groß angelegte Werbekampagne mit der Sängerin Rihanna und dem Fußball-Bundestrainer Jogi Löw soll die Kunden wieder verstärkt zur blau-weißen Dose greifen lassen.

 

Das Werk in Baden-Baden wird davon nicht mehr profitieren. Konzern, Betriebsrat und Gewerkschaft tüfteln an Konzepten, wie möglichst viele der nach Konzernangaben 390 Mitarbeiter in neue Jobs gebracht werden können. Beiersdorf gilt als Konzern, der sich auch bei Werksschließungen um seine Beschäftigten kümmert. Für die Betroffenen in Baden-Baden sind die nächsten Monate entscheidend.

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