Standpunkt

Kopf durch die Wand


Wer standhaft bleiben will, der darf sich auch nicht verstecken, wenn es mal nicht so rund läuft, rät Martin Herrenknecht, Chef des gleichnamigen Tunnelnbohr-Spezialisten – auch mit Blick auf Stuttgart 21.

Erfolg kann ein lausiger Lehrer sein. Hat ein Unternehmen einen guten Lauf, scheint es im Naturell des Menschen zu liegen, wie imprägniert zu sein. Schlechte Nachrichten, kritische Fragen perlen dann gerne mal ab. Wir sind daher gut beraten, jedweder Form von Übermut Einhalt zu gebieten.

Wie das klappt, muss jeder für sich herausfinden. Mir hilft es, dort hinzugehen, wo es ungemütlich werden kann. Kommt es hart auf hart, neige ich dazu, mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Gewisse Hartnäckigkeit ist den Tunnelbohrern eigen, die wir weltweit vermarkten.

Unsere Bohrer können sich weder Boden noch Topografie aussuchen. Unsere Ingenieure statten sie mit passenden Eigenschaften dafür aus. Unsere Kunden aus der internationalen Bauwirtschaft wollen mit diesen Unikaten schnell vorwärtskommen, Stillstand kostet Geld. Eines der imposantesten Beispiele ist der Bau der neuen Alpentransversalen in der Schweiz. Im Juni wurde dessen Kernstück eröffnet, der neue Gotthard-Basistunnel. Das Bauwerk durch das gewaltige Bergmassiv umfasst zweimal 57 Kilometer Tunnelröhre, größtenteils hergestellt mit vier unserer Maschinen.

Der Tunnel inmitten Europas ist eine historische Errungenschaft. Ein Weltrekordbrecher. War es eine durchgängige Erfolgsgeschichte? Natürlich nicht!

Das Projekt bereitete mir schlaflose Nächte und forderte mich aufs Äußerste. Warum? Selbst wenn es uns unzählige Adrenalin-Stöße und jahrelange Vorbereitung kostete, die Maschinen-Aufträge zu akquirieren, war das vergleichsweise einfach. Zumindest im Vergleich mit dem Darauffolgenden. Als am Südportal in Bodio unsere ersten beiden Maschinen mit dem Fräsen der Hauptröhren loslegten, folgte wenig später eine Überraschung. Der Berg war zu weich. Viel zu weich für die 400 Meter langen, 4750 PS starken Hard-Rock-Boliden, ausgelegt für permanenten Hochleistungs-Vortrieb in knackigem Gneis.

Wer hält gerne persönlich seinen Kopf hin, wenn bei einem Jahrhundertprojekt monatelang nichts geht? Unzählige Male stand ich vor Ort im Berg, in dem ich mich weder vor Kunden, dem Bauherren, noch der Schweizer Öffentlichkeit verstecken konnte - vor all jenen, die unseren Produkten einen gewaltigen Vertrauensvorschuss spendiert hatten. Die sehr eigenwillige Geologie zwang uns alle zu einem mühevollen, iterativen Vorantasten.

Meine Kopf-durch-die-Wand-Mentalität und die badische Ingenieurskunst standen auf dem Prüfstand. Ich fühlte mich nicht nur für die Reputation der eigenen Firma zuständig, sondern auch für dieses großartige Bauwerk. Mit vereinten Kräften lief es irgendwann aber wie geschmiert. Als wahre Pioniere konnten wir der Euphorie erst freien Raum lassen, als nach sieben Jahren die finalen Durchbrüche erfolgten. Die Eröffnung des Jahrhundertbauwerks fand jetzt ein Jahr früher statt als geplant.

Zum Zeitpunkt des Durchbruchs stand ich bereits bei einem anderen Prestige-Projekt im Feuer: Stuttgart 21. Hier habe ich mich als Unternehmer politisch eingemischt. Das kam nicht immer gut an. Doch heute freut mich, wie gut es bei den Tunneln von Stuttgart 21 vorangeht. Ich bin sicher: Ist das Bauwerk erfolgreich gemeistert, wird die Mehrheit der Bevölkerung begeistert sein. Bis dahin mag es noch ein längerer Weg sein. Und bis zuletzt wird er gewiss Standfestigkeit erfordern.

Foto: Herrenknecht

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