Standpunkt

Das Januswort von der Technologieoffenheit


Kammern, Verbände und Teile der Politik lamentieren zu viel, anstatt für Aufbruchstimmung zu sorgen. Dabei ist die notwendiger denn je, um unseren Wohlstand zu sichern, findet Econo-Chefredakteur Dirk Werner

Wissen Sie, was ein Januswort ist? Kurz erläutert: Dabei handelt es sich um ein Wort mit mindestens zwei Bedeutungen, möglichst gegensätzlichen obendrein. Der Begriff Januswort ist mir in den Sinn gekommen, als die Einladung zur einer Veranstaltung im Mailfach eintraf: Es geht dabei im Kern um die Forderung nach Technologieoffenheit bei der Mobilitätswende.

Warum ausgerechnet der Begriff Technologieoffenheit ein Januswort ist? Weil das Wort zwei ganz gegensätzliche Bedeutungen hat - je nachdem, wer es wie ausspricht!

Zwei prägnante Beispiele hierzu:

Erstens Wolf-Henning Scheider, Vorstandschef des Zulieferers ZF. Bei der Eröffnung eines 70 Millionen Euro teuren Prüfzentrums für Antriebssysteme in Friedrichshafen hob dieser nicht nur das Know-how in dem Neubau hervor - "Das neue Prüfzentrum für Antriebstechnologien ist das Fitnesscenter für die Mobilität der Zukunft" - sondern unterstrich damit auch wortwörtlich den technologieoffenen Ansatz des Konzerns. Jeder Satz machte Lust auf Zukunft.

Zweitens diverse Vertreter von Kammern, Verbänden und politischen Parteien. Unabhängig von der zuvor erwähnten Veranstaltung festigte sich bei allerlei Gelegenheiten der Eindruck: Der Begriff Technologieoffenheit hat eine komplett andere Bedeutung, als bei ZF-Chef Scheider. Aus dem Mund vieler Verantwortlicher bei Kammern, Verbänden und mancher Parteien ist das Wort ein Synonym für "bitte keine gravierende Veränderung!". Oder spitz formuliert: "Wir wollen unseren Diesel behalten!"

Diesen Eindruck muss man haben, schließlich wird bei Veranstaltungen und anderen Gelegenheiten nicht auch die Abkehr vom Dienstwagen-Privileg, der Ruf nach Steuergleichheit bei Kraftstoffen oder die Streichung von der Ökostrompflicht für E-Ladesäulen und ähnlichen "Verzerrungen" gefordert, sondern ganz allgemein gegen Mobilitätswende und E-Fahrzeuge lamentiert. Es geht also nicht um eine Technologieoffenheit im Sinne von Wettbewerbsgleichheit (ob so etwas überhaupt möglich und wünschenswert ist, angesichts anderer weltweiter Herausforderungen, ist ein anderes Thema...). Wie gesagt ist das ein subjektiver Eindruck, der sich aber in Gesprächen im Umfeld der Veranstaltungen stetig verfestigt - weil immer mehr Unternehmer diese Haltung mindestens scharf kritisieren.

Was nun schlimm daran ist, wenn sich Kammern und Politiker für ihre Klientel einsetzen? Es geht um den Unterton, die Geisteshaltung, die mit dem Januswort einhergeht - und die den großen Unterschied zu ZF-Chef Scheider ausmacht: Er geht die Herausforderung positiv an, sieht sie als Chance. Die andere Seite will keine Veränderung, was wiederum bei zu vielen Menschen gut ankommt (was ein menschliches Phänomen ist: egal wie schlecht es einem geht, durch eine Veränderungen könnte es noch schlechter werden, also lassen wir es lieber...).

Eine positive Sicht auf die Veränderungen - ohne Herausforderungen zu negieren! - fehlt in Deutschland vielleicht auch deshalb ganz grundsätzlich. Lieber den Menschen nicht zu viel zumuten! Deshalb wird alles, egal ob Digitalisierung, Mobilität, Klima, Energie, viel zu verzagt angegangen.

Statt zu lamentieren sollten gerade die Verantwortlichen in Kammern, Verbänden und Politik Aufbruchstimmung erzeugen! Sie sollten vorne stehen und die Herausforderungen als Chance verteidigen, die am Ende unseren Wohlstand sichern!

Ähnlich wie es John F. Kennedy am 25. Mai 1961 mit der Ankündigung der Mondlandung getan hat: Es ist schwierig, eine Herausforderung, hat noch niemand gemacht? Genau deshalb müssen WIR es tun! Kennedy formuliert eine Vision, einen Traum, er erzeugte eine Aufbruchstimmung.

Kurzer Einschub: Der Zeitraum von Kennedys Ankündigung bis zur Landung betrug nur acht Jahre. Für den rund zwei Kilometer langen Ausbau der Bundesstraße 27 bei Donaueschingen auf vier Fahrspuren sind vier Jahre veranschlagt - ohne die Jahrzehnte der Vorplanungen...

Warum wir überhaupt eine Aufbruchstimmung dringend brauchen? Auch hierzu zwei kurze Beispiele, ganz bodenständige zumal, die zeigen, wie tief die Skepsis gegenüber Veränderungen sitzt:

Erstens ein Gespräch mit einem Lehrer, ein Mann, der noch gut 20 Jahre in seinem Beruf vor sich hat. Der die Notwendigkeit von Veränderungen durch die Digitalisierung klar erkennt und benennt. Der aber wortwörtlich "keine Lust" auf diese Veränderung artikuliert.

Zweitens ein Gespräch mit der Mitarbeiterin einer genossenschaftlichen Versicherung. Auf die Digitalisierbarkeit ihrer Tätigkeit angesprochen meinte sie knapp: Sie erkenne zwar den für den Kunden unsinnigen Mehraufwand, aber sie wolle ihren Arbeitsplatz behalten.

Mit dieser Haltung wird das nichts mit notwendigen Veränderungen. Und was das mit einer Gesellschaft, dem Wohlstand machen kann, sieht man in Ansätzen schon heute in den USA. Also Schluss mit Janus, nutzen wir das Wort Technologieoffenheit nur noch im Sinne des ZF-Chefs - dann gehört die Zukunft uns und unseren technologischen Innovationen!

Das klingt Ihnen zu platt, zu naiv? Dann bitte, formulieren Sie doch eine Alternative – ich freue mich auf den Dialog!

Abschließend: Es gibt noch einen Begriff, der mir in diesem Kontext in den Sinn kommt: Kosten. Aktuell wird ständig, je nach Gusto, über die hohen Kosten für Digitalisierung, Mobilitätswende oder auch Klimaschutz lamentiert. Ersetzt man das Wort Kosten durch Investitionen, dann bekommt der Zusammenhang mit einem Mal einen positiven Zungenschlag: Weil es neue Technologien ermöglicht, Arbeitsplätze schafft und Wirtschaft samt Gesellschaft fit für die Zukunft macht!

P.S. Dirk Werner erreichen Sie per Mail an dwerner@econo.de.

Foto: Jigal Fichtner für econo

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