Scheitern in Chattanooga

Die Industrie-Service GmbH wollte bei den Großen mitspielen. Jetzt ist das Schopfheimer Unternehmen am Ende. Wer hat Schuld?

 
 

Schopfheim. Für den amerikanischen Jazz-Musiker Glenn Miller war Chattanooga eine Stadt des Erfolgs. Vor 70 Jahren bekam er für seinen Song „Chattanooga Choo Choo“, der von einer Zugfahrt handelt, die erste Goldene Schallplatte der Musikgeschichte. Für die Industrie-Service GmbH (IS) war Chattanooga der Untergang. Der Mittelständler aus Schopfheim erlebte in den USA ein Desaster. Doch für solche Probleme fehlt dem Unternehmen ein finanzielles Polster. Und so nehmen die Dinge ihren Lauf. Am 26. Januar meldet das Unternehmen Insolvenz an. Mittlerweile sind die Lichter aus.


Dabei scheint die jüngere Geschichte des Unternehmens durchaus erfolgreich - jedenfalls wenn man auf einfache Kennzahlen schaut. Von 2006 bis 2008 hat sich der Umsatz von 7 auf 22 Millionen Euro mehr als verdreifacht. Das Unternehmen wächst, beschäftigt plötzlich mehr als 100 Mitarbeiter. Auf dem Höhepunkt werden es sogar 170 sein, davon 40 in den USA. Damit ist IS aber immer noch ein relativ kleiner Fisch. Und trotzdem glaubt man, dass man im großen Teich mitschwimmen kann.

Deshalb wagt man sich ans heikle Projektgeschäft in Übersee, gewinnt den Auftrag für den abgehängten Stahlbau im neuen VW-Werk in Chattanooga. Das Bauvorhaben in der viertgrößten Stadt des US-Bundesstaates Tennessee soll die triumphale Rückkehr von Volkswagen nach Nordamerika werden. Die Wolfsburger investieren dort rund eine Milliarde Euro in den Neubau und kündigen an, bald 150 000 Autos im Jahr zu bauen.

Ein Riesending. Und vielleicht eine Nummer zu groß für den Stahlbauer aus der südbadischen Provinz. Zu diesem Urteil kommt jedenfalls der Insolvenzverwalter Philipp Grub von der Stuttgarter Kanzlei Grub Brugger, einem der renommiertesten Sanierer im Südwesten. Den Wäschehersteller Schiesser hat die Kanzlei gerade gerettet. Dessen Börsengang ist nur noch eine Frage der Zeit.

Aber Philipp Grub ist es nicht gelungen, einen zukunftsfähigen Weg für IS zu finden. Seit Anfang Mai ist der Ofen aus.

„Es gab etwa ein halbes Dutzend Anfragen aus allen Richtungen - regionale und überregionale Wettbewerber, strategische und Finanz-investoren“, sagt Grub zu den gescheiterten Rettungsplänen. Aber nach einem Blick auf die Zahlen habe sich keiner mehr gemeldet. Zu vertiefenden Gesprächen kam es nie.

Denn schon in der Boomzeit schafft IS es nicht, rentabel zu wirtschaften. Das Unternehmen wächst mit seinen Ansprüchen über die eigenen Strukturen hinaus und versäumt es, diese anzupassen. Projektgeschäft in den USA - so etwas muss man können. IS versucht dies mit einer Tochterfirma von bis zu 40 Mann im Bundesstaat South Carolina und einem Geschäftsführer, der zwischen Schopfheim und den Staaten pendelt. Doch dieser Jürgen Zimmermann bekommt die Probleme nicht in den Griff, die der VW-Auftrag dem Unternehmen letztlich beschert. Zudem ist das nicht der einzige Auftrag, der Sorgen bereitet. IS erledigt über die Jahre mehrere internationale Projekte für die Automobilindustrie - stets mit roten Zahlen. „Das hat den Erfolg der anderen Sparten vernichtet“, sagt Wolf-Christian Geiler, der bei IS für das Controlling zuständig war.

„Es ist völlig normal, dass sich im Projektgeschäft kurzfristig der Auftrag ändert, auch während man baut“, sagt Grub. „Dann muss man flexibel reagieren. Muss abschätzen, was die Kosten sind.“ IS konnte das nicht. Eine Verzögerung von acht Wochen beim VW-Auftrag ist letztlich das Hauptproblem. Bis heute sind nicht alle Rechnungen gezahlt. Bis heute streitet man mit dem General-unternehmer darum, dass dieser die Rechnungen begleicht.

So wurde es dem Unternehmen zum Verhängnis, dass es jahrelang am Anschlag gewirtschaftet hat. Ein Mitbewerber spricht bei IS sogar von „ruinösen Preisen“. Insolvenzverwalter Grub bestätigt das. „Die Preise waren nicht auskömmlich“, sagt er.

So haben denn auch nicht die Banken das Todesurteil unterzeichnet. Im Gegenteil: Sie spielen mit, stunden dem Unternehmen allein im Jahr 2010 Tilgungen in Höhe von 2,2 Millionen Euro, wie Geiler verrät. Es war das Unternehmen selbst, das mit den Jahren immer höhere Schulden angehäuft hat. Dabei hat das Verhältnis von Kosten und Ertrag nie gestimmt. Zu diesem Schluss kommt jedenfalls Philipp Grub. „Zum Stichtag des Insolvenzantrages beliefen sich die Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen auf etwa 3,4 Millionen Euro“, sagt er. Das war zu viel für das Unernehmen.

Die beiden geschäftsführenden Gesellschafter Hansjürgen Blum und Rainer Schwald müssen sich an diesem 26. Januar eingestehen, dass sie gescheitert sind. Ihr Plan, ein Kleiner unter den Großen zu sein, ist nicht aufgegangen. Dabei hatte man sich die Zukunft rosig und prosperierend ausgemalt. Ein Zeugnis davon ist der Neubau, den IS in Schopfheim für das eigene Unternehmen hat bauen lassen.

Die 3900 Quadratmeter große Produktion und die 700 Quadratmeter Verwaltungsfläche sind zu jedem Zeitpunkt überdimensioniert. Denn als IS einzieht, sind die Boomzeiten längst vorbei. IS schrumpft und steht nun vor einem Neubau, den man für eine wachsende Firma geplant hatte. Also nimmt das Unternehmen Aufträge an, die sich kaum rechnen können. Das neue Werk muss ausgelastet werden. Die Hälfte des Stahlbaus für Chattanooga wird in Schopfheim gebaut und dann nach Übersee verfrachtet. Das verursacht weitere Kosten.

Zudem hat der in hoher Eigenleistung erstellte Bau Kapazitäten gebunden. Auch die Baufirma Binder & Blum, das zweite Unternehmen von IS-Gesellschafter Hansjürgen Blum, hilft bei der Ausführung, wirbt auf seiner Website sogar mit dem IS-Neubau.

Der ist nur möglich durch das Geld anderer Leute. „Der Neubau wurde komplett fremdfinanziert“, sagt Insolvenzverwalter Grub.

Eine solide Eigenkapitalbasis gibt es schon lange nicht mehr. IS lebt von der Hand in den Mund. Als sich dann die Risiken dieser stets knappen Kalkulation verwirklichen, ist das zu wenig.

Die Geschichte von IS ist kein Krimi. Es gibt hier keinen Gesellschafter, der sich mit einem großen Geldbetrag aus dem Staub gemacht hat, keinen windigen Investor. Es gibt nicht mal eine Bank, die urplötzlich den Geldhahn zugedreht hat. Aber es ist eine Geschichte des Scheiterns. Von Menschen, die das Risiko ihrer Unternehmung kannten und es ignoriert haben. „Einiges ist schwer nachzuvollziehen“, sagt Philipp Grub kopfschüttelnd.

Sang- und klanglos geht so die 20-jährige Geschichte eines Unternehmens zu Ende, das an seinen Visionen gescheitert ist. IS wollte sein Können weltweit beweisen. Die Strukturen wurden daran aber nicht angepasst. Ein Fehler, der IS am Ende dann seine Existenz gekostet hat.

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