Sarazzin und Stuttgart 21

Per Volksbefragung wollen die Gegner von Stuttgart 21 das Projekt kippen. Econo-Herausgeber Klaus Kresse warnt: Wir können Deutschland nicht mit Referenden regieren

 
 

Wir sind das Volk! Ein schönes Wort. So basisdemokratisch. Und so geadelt durch die Wiedervereinigung. Nur: Ist Volkes Stimme wirklich das Maß der Dinge?
Damit sind wir bei der interessanten Frage: Was hat Thilo Sarazzin mit Stuttgart 21 zu tun?

Direkt natürlich gar nichts. Von dem Ex-Bundesbanker sind keine Einlassungen zum Stuttgarter Bahnhofsprojekt bekannt. Indirekt freilich gibt es schon eine Klammer: die Stimme des Volkes.

Eigentlich wären die Dinge in einer repräsentativen Demokratie ganz einfach. Wir können frei wählen. Wir können uns frei dem (tatsächlichen oder vermeintlichen) Sachverstand einer politischen Gruppierung anvertrauen. Und wir können die Gewählten dann machen lassen.

Auf Bund und Länder bezogen heißt das: Alle vier Jahre kann das Volk heftige Korrekturen vornehmen. In der Zwischenzeit jedoch sollte es die Gewählten machen lassen. Wobei durchaus zu fragen ist, ob eine Legislaturperiode von nur vier Jahren in unserer immer komplizierter werdenden Welt überhaupt noch sinnvolle Entscheidungen zulässt.

Wir haben aber ein viel größeres Problem. Das Volk traut seinen Volksvertretern immer weniger über den Weg. Mit einer bitteren Konsequenz. Wann immer irgendwem eine demokratische Entscheidung nicht passt, schreit er nach einem Referendum.

Konsequent zu Ende gedacht müssten wir die große Bundesrepublik regieren wie die Bürger von Appenzell Innerrhoden ihren kleinen Kanton: per Landsgemeinde, dieser ältesteten und einfachsten Form der Demokratie. Also Gesetzgebung auf der Wiese unter freiem Himmel, mit Handheben.

So richtig praktikabel hört sich das nicht an. Zumal im Kanton Glarus etwa das Wetter mitspielen muss – andernfalls wird die Gesetzgebung verschoben.
Viel bedeutender sind die Zweifel, wenn es um Sinn und Qualität von Bürgerentscheidungen geht. Denn dass Referenden zwangsläufig zu besseren Ergebnissen führen, wird niemand ernsthaft behaupten wollen. Im Gegenteil: Schon die Voten bei demokratischen Wahlen sind stark von Tagesereignissen abhängig (siehe Gerhard Schröders Wahlerfolg im Jahr 2002 dank Überschwemmungskatastrophe an Oder und Neiße). Die Volatilität der Stimmung von Bürgern aber ist ungleich größer. Was Referenden zum Glücksspiel macht.
Zudem bringt Volkes Stimme oft genau die zum Verzweifeln, die ständig nach dem Plebiszit rufen: Linke, Grüne und Alternative.

Nur einige Beispiele:

Als die Schweizer vor einem Jahr mit deutlicher Mehrheit (57,5 Prozent) für ein Minarett-Verbot votierten, hätten viele dem Volk gern das Stimmrecht entzogen.
Nachdem im Juli bei einem Volksentscheid in Hamburg die von den Grünen initiierte Schul­reform (Stichwort Gemeinschaftsschule) gekippt wurde, nannte das die linke „taz“ ein Mobbing seitens der Bürgerlichen.

Oder nehmen wir das Thema regenerative Energien. Alle ökologisch Angehauchten wollen Windräder – aber nicht vorm eigenen Haus. Und die neuen Hochspannungsleitungen und Pumpspeicher-Kraftwerke, ohne die Windräder Unsinn sind, wollen sie schon gar nicht.

Und Stuttgart 21?

Da gibt es fast schon hysterische Proteste, weil angeblich zu viel Geld ausgeben wird. 120 Kilometer weiter westlich, im Rheingraben, protestieren Bürger, weil man zu wenig Geld vergraben will.

Womit wir wieder bei der Frage wären, was Thilo Sarazzin mit Stuttgart 21 zu tun hat.

Einfache Antwort: SPD, Grüne und alle Protestierer, die das Projekt per Volksentscheid kippen wollten, müssten ohne Widerspruch eine Entscheidung des Volkes über Thilo Sarazzins umstrittene Forderungen akzeptieren. Bei n-tv etwa bekam Sarazzin mit seiner Islam- und Migrantenkritik 95 Prozent Zuspruch.
Aber wir hören schon den linken Kommentar: Der Bürger irrt.

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