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Die Briten wollen raus aus der EU. Ob das in einer Sackgasse endet? Econo dokumentiert Reaktionen aus Ba-Wü auf den Brexit.

 
Foto: Rawpixel.com
 

Offenburg. Schock hin oder her – die Prognosen sprachen immer von einem engen Ausgang des Referendums. Mit der Entscheidung für den Austritt haben dennoch selbst die wenigsten Kenner gerechnet. Nun haben die Wähler entschieden und es gibt erste Reaktionen von Wirtschaftsverantwortlichen aus dem Land:

"Nun sind die schlimmsten Befürchtungen Realität geworden", sagt Klaus Moser, Hauptgeschäftsführer der IHK Ostwürttemberg. Das Votum der Briten sei höchst bedauerlich, die wirtschaftlichen Konsequenzen und die Folgen für den Inneren Zusammenhalt der EU seien nicht absehbar. Moser: "Ein historisch schlechter Tag für die EU."

Heinrich Grieshaber, Präsident der IHK Bodensee-Oberschwaben betont: "Für die regionale Wirtschaft wird das Brexit-Votum weitreichende Folgen haben." Zwar sieht er keine unlösbaren Probleme, aber: "die mittel- und langfristigen Folgen des Austritts sind nur schwer absehbar". Er hofft, dass dies nun keinen Domino-Effekt auf andere Mitgliedsstaaten haben wird.

"Die Entscheidung ist sicher sehr stark durch Emotionen und weniger durch rationale Beweggründe geprägt" sagte Stephan Wilcken, Geschäftsführer der Bezirksgruppe Freiburg des Arbeitgeberverbands Südwestmetall. Allerdings sei es nun an der EU, jetzt echte Reformfähigkeit zu beweisen. "Die langfristigen Konsequenzen werden erst dann absehbar sein, wenn die Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU über die Ausgestaltung der Beziehungen abgeschlossen sind. Aber unsere Firmen haben das Iran- und das Russlandembargo am Ende meistern können, das wird uns auch beim Brexit gelingen", so Wilcken. Er gehe nicht davon aus, dass die Entscheidung der britischen Bürger Auswirkungen auf die Anzahl der Arbeitsplätze haben werde.

"Dieses Votum führt in eine Sackgasse. Es macht Großbritannien noch mehr zur Insel und Europa insgesamt ärmer - nicht nur wirtschaftlich", sagt Christoph Münzer, Hauptgeschäftsführer des Verbandes WVIB. Und weiter: "Die einmaligen Vorteile, die das geeinte Europa und der Binnenmarkt bieten, sind in der emotional und populistisch geführten Diskussion unter die Räder geraten. Für den Mittelstand in der Schwarzwald AG werden Ausfuhren und Investitionen in Zukunft umständlicher. Obwohl wir noch nicht alle Konsequenzen exakt beziffern können: Für den europäischen Gedanken und für den Binnenmarkt war das ein großer Rückschritt."

Dieter Teufel, Präsident der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg, meint: "Vielleicht ist die Entscheidung aber auch ein heilsamer Schock. Die Zeit der nun anstehenden Verhandlungen sollte Europa auch nutzen, um über sich selbst nachzudenken." Und weiter: "Die EU, einst aus einer Weiterentwicklung der Montanunion über die EWG entstanden, ist das große Friedens-, aber auch Wirtschaftsprojekt der Europäer. Freizügigkeit und Binnenmarkt, um nur zwei Schlagworte zu nennen, scheinen allerdings bei der Brexit-Kampagne im Vereinigten Königreich ihre Strahlkraft nicht entfaltet zu haben. Dies könnte zu tun haben mit dem derzeitigen Zustand unserer europäischen Institutionen, ihren Verfahren und dem, was in Brüssel alles geregelt wird."
Aus Sicht des IHK-Präsidenten sollte die EU vor allem zwei Dinge beherzigen:"erstens 'groß bei großen Dingen sein und klein bei kleinen Dingen', zweitens muss die EU im nun eingetretenen Falle eines Brexit über sich selbst und notwendige Reformen nachdenken und sich über ihre weitere Zukunft klar werden." Bei einem ihrer wichtigsten Handelspartner müssen sich die deutschen Unternehmen nun auf erhebliche Veränderungen einstellen. "In Zeiten, in denen nationalstaatliche Grenzen an Bedeutung verlieren, kommt mir die Entscheidung der Briten ein Stück weit auch wie ein Auflehnen gegen die Globalisierung vor."

"Hart treffen wird das Votum vor allem die Schreiner, für die der hochwertige Innenausbau in der Region London ein wichtiger Markt ist", kommentierte Landeshandwerkspräsident Rainer Reichhold die Entscheidung der britischen Bevölkerung gegen den Verbleib in der Europäischen Union. "Wir rechnen damit, dass künftig zumindest ein Teil dieser lukrativen Aufträge ausbleiben wird", so Reichhold ernüchtert. Das baden-württembergische Handwerk bedauere es, dass sich für die Wirtschaft hierzulande die Geschäfte mit ihrem drittgrößten Exportmarkt innerhalb der EU erschweren werden. Neben einem schwierigeren Marktzugang sei vor allem mit höheren Transaktionskosten oder gar Zöllen zu rechnen. "Die britische Entscheidung mag sehr enttäuschend sein. Man muss aber eingestehen, dass es auch bei einem Verbleib nicht so hätte weitergehen können wie bisher", sagte Reichhold. Grund seien die Sonderrechte, die sich die Briten innerhalb der EU erstritten und die auch bei anderen Mitgliedsstaaten Begehrlichkeiten geweckt hätten. "Die EU muss jetzt dringend eine Bestandsaufnahme machen, ansonsten drohen womöglich Domino-Effekte", so Reichhold. "Sollten Handelspartner auf dem Kontinent nun ebenfalls Austrittsgedanken entwickeln, wäre das baden-württembergische Handwerk massiv betroffen."

"Wir rechnen damit, dass sich der Handel mit Gütern und Dienstleistungen erschweren wird. Die Unsicherheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung bei britischen Kunden und Konsumenten steigt. Entsprechend zurückhaltender werden sie sich bei eventuellen Kaufentscheidungen zeigen", schätzt IHK-Außenwirtschaftschef Matthias Kruse von der IHK Rhein-Neckar in Mannheim. Großbritannien ist nun in der Pflicht, Handelsverträge weltweit, aber auch mit der EU neu auszuhandeln. Um die Handelsbeziehungen zwischen EU und Großbritannien neu zu regeln, sehen die EU-Verträge einen Zeitraum von zwei Jahren vor. In dieser Phase wird aufgrund der unsicheren Lage eine Investitionszurückhaltung von beiden Seiten erwartet. Ansteigen werden auch die bürokratischen Hürden für Unternehmen beispielsweise im Handel.

Steffen Auer, Präsident der IHK Südlicher Oberrhein meint: "Ich bedauere die Entscheidung für den Brexit sehr. Unsere Mitglieder müssen sich nun bei einem ihrer wichtigsten Handelspartner auf erhebliche Veränderungen einstellen. 2015 gingen 6,3 Prozent aller baden-württembergischen Exporte (12 Milliarden Euro) ins Vereinigte Königreich. Im Bezirk der IHK Südlicher Oberrhein haben laut der baden-württembergischen IHK-Firmendatenbank etwa 285 Unternehmen Länderverbindungen mit UK, wobei diese Zahl sicherlich nicht abschließend ist. Der deutsch-britische Handel wird nun schwieriger. Wie genau diese Schwierigkeiten aussehen werden, hängt von den Verhandlungen ab, die jetzt anstehen. Rechnen müssen wir vermutlich erst einmal mit einem schwächeren Absatz deutscher Produkte in Großbritannien sowie in der ersten Zeit auch mit einer Investitionszurückhaltung. Aber auch über die wirtschaftlichen Aspekte hinaus ist der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU bedauerlich. Denn wir brauchen die Einigkeit, um unsere europäischen Werte in der Welt zu vermitteln. Europa kann nur bestehen, wenn es zusammensteht."

"Die Entscheidung für den 'Brexit' wird für viele Unternehmen nicht ohne negative Folgen bleiben", prognostiziert IHK-Hauptgeschäftsführer Andreas Richter in der Region Stuttgart. Das Ausscheiden der Briten könnte den Handel mit Gütern und Dienstleistungen mit dem Vereinigten Königreich erschweren und damit unattraktiver machen. Zudem strahlen die Folgen des Abstimmungsergebnisses auf viele andere Märkte, insbesondere auf die Finanzmärkte, aus. "Angesichts des hohen Internationalisierungsgrads vieler unserer Betriebe dürften wir auch davon betroffen sein", so Richter. Die mittel- und langfristigen Folgen und Konsequenzen der jetzigen Entscheidung seien nur schwer absehbar. Mit dem Wegfall der EU-Regelungen für den Wirtschaftsverkehr zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich könnte für Unternehmen eine Phase der Unsicherheit oder gar des Stillstandes beginnen. Diese Situation trifft in der Region Stuttgart viele exportierende deutsche Unternehmen sowie Betriebe mit Niederlassungen in Großbritannien, aber auch die rund 140 ins Handelsregister eingetragenen Unternehmen aus Großbritannien (Stand 2014). Richter: "Wir befürchten, dass es Jahre dauern könnte, neue bilaterale Abkommen mit der EU auszuhandeln, wie etwa zwischen EU und der Schweiz."


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