"Die EZB muss weiter Zeit erkaufen"

Der ZDF-Börsenexperte Frank Bethmann im Econo-Gespräch über das Für und Wider niedriger Zinsen, die S-Klasse der Börsen und weshalb Italiener und Griechen vermögender als die Deutschen sind.

 
Foto: pr
 

Friedrichshafen. Der ZDF-Journalist Bethmann wird seine Sicht auf "sich verändernde Märkte" bei der Business Night Bodensee in Friedrichshafen erläutern. Im Vorfeld sprach Econo als Medienpartner der Wirtschaftsförderung Bodenseekreis mit dem Börsenexperten. 

Börse und Mittelstand scheinen - bis auf wenige Ausnahmen - keine Freunde zu sein. Wie erleben und bewerten Sie dieses Fremdeln?

Frank Bethmann: Mit gemischten Gefühlen. Tatsächlich machen die allermeisten der deutschen Mittelständler einen großen Bogen um die Börse. Und wenn man sieht wie gut sich die vielen kleinen und größeren Mittelständler in Deutschland entwickelt haben, dann kann man mit Fug und Recht behaupten, es geht auch ohne Ausgabe von Aktien. In vielen Fällen sogar besser. Hier das schnelllebige, wechselhafte Agieren an den Kapitalmärkten, dort die langfristige, generationsübergreifende Sichtweise eines Familienunternehmers - das passt einfach nicht zusammen.
Und doch gibt es mehr Mittelständler an der Börse, als man glaubt. Vergessen werden häufig Mittelstandsanleihen, also der Markt, an dem Firmen nicht Unternehmensanteile ausgeben, sondern Schuldtitel, um an Geld zu kommen. Air Berlin rückt diesen Markt gerade wieder ungewollt ins Rampenlicht. Der Markt für Mittelstandsanleihen liegt am Boden, nicht nur aber auch wegen Air Berlin. Die meisten der Unternehmen die sich über diesem Weg am Kapitalmarkt Geld besorgen wollen, machen das nicht um zu finanzieren, sondern weil sie damit andere Schulden tilgen müssen. Das ist eine Entwicklung, die ich mit Sorge beobachte. Sollten die Zinsen eines Tages wieder steigen, muss man kein Prophet sein, wird es bei den Mittelstandsanleihen als erstes knallen.

Wie viel Realwirtschaft steckt denn tatsächlich in der Börse?

Bethmann:
Wenn man den Blick nicht nur auf die Aktien verengt, dann schon noch eine Menge. Denken Sie an den Devisenhandel und den Handel mit Staats- und Unternehmensanleihen. All das bildet sehr wohl reale Kräfteverhältnisse ab. Wie gut oder wie schlecht geht es einer Volkswirtschaft? Hat ein Land zu viele Schulden? Oder kann es den Verbindlichkeiten Werte und Produktivität entgegensetzen?

Andererseits: Wie real ist der Börsenhandel mit automatisiertem Hochfrequenzhandel sowie dem zunehmendem Einsatz von Bots und künstlicher Intelligenz noch?

Bethmann:
Die Gefahren des Manipulierens haben in den letzten Jahren enorm zugenommen, keine Frage. Die Börsenbetreiber versuchen ihre Marktplätze mit großen Anstrengungen sicherer zu machen. Gleichzeitig verdienen sie gerade am Hochfrequenzhandel enormes Geld. Würden Sie als Autobauer die S-Klasse vom Markt nehmen, wenn Sie dafür eine zahlkräftige Kundschaft hätten? – Natürlich nicht.
Deswegen wird es den Hochfrequenzhandel auch weiterhin geben. Der Gesetzgeber versucht die Gefahren einzudämmen, kann aber niemals schneller und besser sein als die Technologieführer.

Der Dax hat in den vergangenen fünf Jahren, befeuert unter anderem durch die Politik der niedrigen Zinsen, um 75 Prozent zugelegt. Das hat doch tatsächlich mit Realwirtschaft nicht mehr viel zu tun...

Bethmann:
Das ist der Hauptgrund, warum sich die Finanzmärkte sukzessive von der Realität und ihren eigentlichen Aufgabe abgekoppelt haben, nämlich Menschen mit Geld und Menschen mit guten Ideen, die dafür Kapital brauchen, zusammenzubringen. Von diesem einfachen wie gutem Prinzip entfernen wie uns immer mehr. Es gibt in der Tat viel zu viel überflüssiges Geld. Das Geld muss irgendwo hin. Es entstehen Blasen. Nicht nur am deutschen Aktienmarkt oder an der Wall Street.
Fehlbewertungen sehen wir überall. Die einen halten den chinesischen Immobilienmarkt für gefährlich überbewertet, andere sehen eine große Blase bei kanadischen Immobilien. Die größte Blase von allem aber ist die weltweite Staatsverschuldung. Infolge des billigen Geldes lauern also überall Gefahren, nicht nur am deutschen Aktienmarkt.

Wie ist Ihre persönliche Einschätzung zur Zinspolitik: Wie lange soll, kann, will die EZB das noch durchhalten? Immerhin läuft die Konjunktur und das Ziel des Anstiegs der Inflationsrate lässt sich (wohl unter anderem durch digitale Handelsplattformen) so offenkundig nicht erreichen, dafür "leiden" Realwirtschaft und Gesellschaft...

Bethmann:
Nach meiner Einschätzung bleiben die Zinsen noch länger niedrig. Die EZB wird eher ihre Argumentation ändern und sich ggf. nicht allein am Inflationsziel von zwei Prozent orientieren. Meiner Meinung hat sie diesen Kurs in sanften Schritten bereits eingeleitet. Das Dilemma ist bekannt. Bei steigenden Zinsen in der Euro-Zone werden einige Volkswirtschaften im Süden Europas zusammenbrechen. Besonders Italien und seine Banken sind hier als Bedrohung für die gesamte Euro-Zone zu nennen.
Solange Europa nicht bereit ist, sehr viel enger zusammenzurücken, muss die EZB auf diese Weise weiter Zeit erkaufen. Die Dinge, die jetzt schon falsch laufen und zu Verwerfungen führen, werden also weiter zunehmen. Gelder werden an die falschen Stellen fließen, weil der Zins das Risiko einer Investition nicht mehr richtig bewertet. Sparer werden für größere Summen Zinsen an die Banken bezahlen müssen, als "Dankeschön für die Aufbewahrung."

Sie haben sich intensiv mit Blockchain beschäftigt. Wie ist Ihr Fazit zu dieser neuen Technologie - Hype oder Zukunft?

Bethmann:
Ein Hype um die Blockchain-Währung Bitcoin. Selbst wenn ein Bitcoin irgendwann mal 6.000 oder 7.000 Euro kosten sollte, wäre es immer noch ein Hype. Investitionen in eine Währung, und Kryptowährungen sind auch Währungen, ist immer hoch spekulativ, weil der "wahre" Wert einer Währung nur sehr schwer oder gar nicht festzustellen ist. Aber die Blockchain selbst hat das Zeug, Zukunft zu werden, weil sich durch die Technologie Geschäftsmodelle radikal ändern können.
Das Vertrauen in einen Algorithmus, der bis dato nicht gehackt werden konnte, würde dabei das persönliche Kennen des Gegenübers, des Geschäftspartners ersetzen. Gleichzeitig - und das macht die Technologie so interessant - werden Mittler überflüssig. Das heißt nichts anderes als, wer nicht wirklich einen Wert beisteuern kann, würde künftig - wenn sich die Blockchain durchsetzt - rausfliegen aus der Wertschöpfungskette. Prozesse würden also schneller und billiger.

Was raten Sie in diesem Zusammenhang den Verantwortlichen im Mittelstand, soll man sich damit beschäftigt oder erst abwarten?

Bethmann:
Auf jedem Fall mit beschäftigen. Jetzt schon! Viele Großkonzerne machen es ja jetzt auch bereits. Die TUI, ZF, Innogy oder SAP, um nur einige in Deutschland zu nennen. Wobei mir bewußt ist, wie schwierig es ist, den richtigen Zeitpunkt für`s Einsteigen zu finden. Ist man zu früh dran, verbrennt man unter Umständen Millionen. Wer allerdings zu spät dran ist, da gibt es dieses berühmte Zitat, an dem durchaus was dran ist, den bestraft das Leben. Wer Zeit findet, dem empfehle ich unseren Film, den ich zusammen mit meinem Kollegen Dennis Berger gemacht habe: Welt ohne Banken? - Die Blockchain-Revolution. Am 3. November 2017, um 21 Uhr auf "3Sat".

Zuletzt haben Sie das Buch "Über Geld reden" veröffentlicht, in dem sie das Thema mit Prominenten besprechen. Welche Aussage, Ansicht hat Sie überrascht?

Bethmann:
Dass wir Deutschen, weil wir immer so ein großes Vertrauen in den Staat haben und hatten, im Grunde genommen ärmer sind als mancher Italiener, Spanier oder Grieche. Darauf haben mich in meinem Buch die beiden Banker Friedrich von Metzler und Emmerich Müller aufmerksam gemacht: "Die Vermögensverhältnisse in manchen südlichen Ländern Europas sind so, dass pro Kopf die Menschen dort mehr Vermögen haben als die Menschen in Deutschland. Obwohl das Einkommen in Deutschland höher ist."
Die Erklärung ist so verblüffend wie einfach: Wer permanent die Entwertung der Lira oder der Drachme erlebt hat, steckte sein Geld lieber ins eigene Haus. Deswegen haben viele Südeuropäer eine höhere Eigentumsquote als wir Deutschen, die wir immer glauben, wir könnten uns auf den Staat verlassen. Das Buch hat einige weitere Aha-Effekte, vor allem aber soll es auch unterhalten. Ein Sachbuch mit Schmunzelfaktor, wenn sie so wollen.

Der Wirtschaftsjournalist und ZDF-Börsenexperte Frank Bethmann wurde 1966 in Bremen geboren. Vor seiner Karriere hat er eine kaufmännische Lehre absolviert und BWL in Berlin studiert. Bethmann ist aktuell unter anderem Redakteur im "Heute-Journal" sowie im Kompetenzteam Wirtschaft. Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2008 leitete er das ZDF-Studio in New York.

Übrigens: Hier erfahren Sie mehr über die Business Night Bodensee.

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