Die deutsche Hysterie

Vielleicht sollten wir wirklich Kernkraftwerke abschalten. Aber dann muss Schluss sein mit dem verlogenen Gerede der Trittins und Gabriels. Fordert econo-Herausgeber Klaus Kresse

 
 

Die Bilder aus Japan sind schrecklich, die Nachrichten aus Fukushima er­schütternd. Doch nur Deutschland reagiert hysterisch.

Wie der Teufel aus der Kiste treten die üblichen Verdächtigen in Aktion: Politiker wie Jürgen Trittin (Grüne) und Sigmar Gabriel (SPD), die überheblich ihr „Wir haben es ja immer schon gesagt!“ in die Mikrophone blasen und kaum verbergen können, wie gut ihnen die dramatische Entwicklung ins politische Konzept passt. Und dann solche Berufsgutmenschen wie die Stuttgarter Filmemacherin Sigrid Klausmann-Sittler, der so kernige Sätze einfallen wie: „Die Atomindustrie ist menschenverachtend!“ Das wird ihrem Mann, dem Schauspieler Walter Sittler, gefallen, weil der Ähnliches über die Befürworter des Bahnhofsprojekts Stuttgart 21 sagt.

Selbst die regierenden Unions-Politiker kommen aus der Spur. Stefan Mappus etwa, der noch vor einem Jahr hinterlegt hatte: „Ich bin für den Ausstieg aus dem Atomausstieg.“ Oder Volker Kauder, der im Juli 2010 für längere AKW-Laufzeiten plädiert hatte, inzwischen aber zurückrudert und die Deutschen wissen lässt, „Kernenergie war noch nie Teil des Wertefundaments der CDU“.

Ja hallo!

Haben wir da vielleicht etwas falsch verstanden? Und wie, bitte, ordnen wie den Satz von Angela Merkel ein, „wonach Sicherheit über allem steht“ und wir deshalb „nicht einfach zur Tagesordnung übergehen können“?

Wir sollten doch hoffentlich davon ausgehen dürfen, dass Sicherheit auch vor Fukushima das Maß der Dinge war. Deshalb kann ich die hektische Kehrtwende in Sachen Energiepolitik nicht verstehen. Denn in Fukushima ist nichts passiert, was nicht vorher schon zu den zwar extrem seltenen, aber nicht hundertprozentig auszuschließenden Szenarien gehört hätte. Jedem musste klar sein, was mit Restrisiko gemeint ist.

Wäre es nicht so makaber, müssten wir an dieser Stelle Karl Valentin zitieren. Ihm verdanken wir den trockenen Aphorismus, wonach „das Leben lebensgefährlich ist“. Gemeinhin hilft uns das, selbst gewaltige Risiken bewusst in Kauf zu nehmen.

Oder haben Sie schon einmal Lichterketten und Mahnwachen gegen den Straßenverkehr erlebt? Nein? Ich auch nicht. Was uns verwundern sollte. Denn der Verkehr auf den Straßen der Welt fordert einen brutalen Blutzoll: jedes Jahr bis zu 1,2 Millionen Tote und 40 Millionen Verletzte.

Seit 1954 wird mit Kernkraft Strom erzeugt. In dieser Zeit hat der Straßenverkehr weit mehr als 50 Millionen Todesopfer gekostet. Zum Vergleich: Der Tschernobyl-GAU hat offiziellen Statistiken zufolge zwischen 9?000 und 20?000 Menschenleben gekostet. Selbst wenn man die Zahlen von Greenpeace heranzieht (93?000 Tote), sind das maximal 0,18 Prozent des Blutzolls auf den Straßen.

Nun ist es ebenso müßig wie unzulässig, damit die Atomenergie rein zu waschen. Der Vergleich zeigt aber, dass wir auf unterschiedliche Gefahren mit unterschiedlicher Sensibilität reagieren.

Vielleicht ist es richtig, schneller als geplant aus der Atomkraft auszusteigen. Dann muss aber auch Schluss sein mit der verlogenen Trennung in Böse (Atomwirtschaft, Energiekonzerne) und Gute (vom Schlage Trittin oder Sittler).

Wir müssen endlich begreifen, dass keine Form der Stromgewinnung ohne Risiko ist. Verfeuern wir unersetzliche fossile Brennstoffe, schaden wir dem Klima. Auch Strom aus Biomasse ist nicht unproblematisch. Solarenergie hilft uns mangels ausreichender Sonneneinstrahlung nicht weiter. Und wie riskant es wäre, die Kollektoren in der Sahara aufzustellen, zeigt der Fall Libyen. Bleibt an regenerativer Energie mit Wachstumspotenzial noch die Windkraft. Aber dazu benötigten wir mehr Hochspannungsleitungen (werden abgelehnt) und Energiespeicher. Gegen die aber formiert sich massiver Protest, wie sich jetzt am Abhau im Hotzenwald zeigt. So ist sie eben, die deutsche Hysterie.

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