Die Autozulieferer müssen weg vom Antrieb

Gipfel zeigt schonungslos die Schwächen einer Industrie, der es jahrzehntelang zu gut ging

 
Foto: wvib
 

Donaueschingen. Evolution bedeutet, dass man sich gut auf Veränderungen einstellen kann. Es überlebt nicht der Stärkste, Schlauste oder Schönste. Es überlebt der Beweglichste. Und kaum eine Industrie evolutioniert sich gerade so stark wie Automotive. Das liegt daran, dass der Kunde von morgen keine mit Hubraum protzenden Statussymbole mehr kaufen will. Er will nur wissen, wie er vom Start ans Ziel kommt. Effizient, preiswert, praktisch.

Die deutschen Autohersteller haben nach dem selbst verschuldeten Diesel-Skandal erkannt, dass sie sich bewegen müssen. Weg vom Verbrennungsmotor, hin zum elektrischen Antrieb. Ihre Zulieferer ziehen sie dabei mit. Nun ist die Autoindustrie kein wendiges Leichtboot, sondern ein schwerer Tanker, der zurzeit noch unter Volldampf fährt und das auch noch für ein paar Jahre tun wird. Denn der Dieselskandal führt zwar dazu, dass die Kunden ihre alten Diesel loswerden wollen. Doch die Zahl der Zulassungen insgesamt steigt und wird es wohl noch ein paar Jahre tun. Aber nur wenige steigen auf Elektroantriebe um. Ihr Anteil der Neuzulassungen liegt in Deutschland bei weniger als zwei Prozent.

Dieser Prozess wird locker noch ein Jahrzehnt dauern. Und auch dann, schätzt Stefan Bratzel, werden noch mehr als die Hälfte der Autos auf deutschen Straßen von konventionellen Antrieben bewegt. Bratzel ist Direktor des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. Er war einer der Hauptredner beim gemeinsamen Automotive-Gipfel des WVIB und der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg in Donaueschingen. Bratzel sprach über Chancen und Probleme, viele davon hausgemacht. Er pries Pioniere wie den US-Hersteller Tesla. Er plädoyierte dafür, dass man sich der Zukunft stellen müsse, anstatt ihr auszuweichen oder wegzuschauen.

Nicht alle wollten das hören. Der WVIB hat eine breite Anzahl von Zulieferern in seinen Reihen. Die meisten davon stehen aber als Zulieferer des Zulieferers in der dritten Reihe oder noch weiter hinten. Ihr Einfluss auf die Entscheidungen der Autokonzerne ist begrenzt. Man sagt ihnen, was sie liefern müssen, in welcher Stückzahl, zu welchem Preis.

Der Wechsel vom Verbrenner zum Elektro wird die Zulieferindustrie umkrempeln. Ein herkömmlicher Antriebsstrang für ein 1,4-Liter Aggregat besteht aus rund 1400 Bauteilen. Ihn herzustellen kostet etwa 4400 Euro. Der E-Antrieb ist doppelt so teuer, hat aber nur 200 Teile. Dass hier Jobs bei den Zulieferern und in der Logistik wegfallen werden, kann man sich leicht ausrechnen. Wer als Autozulieferer langfristig gesund bleiben will, der muss weg vom Antriebsstrang.

Doch es sind die offenen Fragen der Zukunft, die Chancen für die Industrie bieten. Autos werden komfortabler, sie enthalten mehr Software und Sensorik. Das Produkt der Zukunft heißt nicht Auto, sondern Mobilität. Wege planen, Verkehrsmittel bereithalten, Ladesäulen bauen und betreiben – die Potenziale sind noch längst nicht gehoben.

Bernd Müller, Digitalisierungschef von Volkswagen, verrät ganz offen, wo die Wolfsburger Hilfe brauchen: bei den Daten. 120 Werke hat der Konzern weltweit. Sie erzeugen mehr als 500 Terabyte Daten – pro Tag. „Das ist nicht zu händeln“, sagt Müller.

„Aber in Deutschland gibt es keinen Big Data Player“, sagt Bratzel. Die großen Datenverwalter und -verschieber der Welt sitzen in den USA und China. Es gibt kein europäisches Google oder Amazon. Zwar haben die Hersteller nun einen Pakt geschlossen, um selbst Datenautobahnen zu bauen. Doch während die Big Data Player bereits international funktionierende Express-Routen haben, tuckern Daimler, VW & Co. noch auf der beschaulichen Landstraße. Dieser Rückstand wird nicht mehr aufzuholen sein.

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