Brüderles Baustellen

Finger weg von der Tarifautonomie

 
 

Mehr Lohn für alle! Nein, die ­Forderung kommt weder von Opposition noch von den Gewerkschaften im Land. Ausgesprochen hat sie Wirtschaftsminister Rainer Brüderle, Mitglied der liberalen FDP.

Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: Ein liberaler, freidemokratischer Minister fordert Lohnerhöhungen. Damit macht sich Brüderle nicht nur in eigenen Reihen wenig Freunde. Kein Wunder also, dass Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt Brüderles Außerungen als kontraproduktiv geißelt. Schließlich lässt sich das Rückgrat der Gesellschaft, die Wirtschaft, ungern von praxisfernen Politikern vorschreiben, wie sie ihre Mitarbeiter zu bezahlen hat. Brüderle setzt Firmen und Verbände vor den nächsten Tarifverhandlungen damit völlig unnötig unter Druck.

Was aber viel schlimmer wiegt: Brüderle packt die populistische Schaufel aus, und gräbt einem jener Prinzipien das Wasser ab, die Deutschland nach dem Krieg zur Wirtschaftsmacht verholfen haben: die Tarifautonomie. Die ist übrigens im Grundgesetz verankert und beinhaltet, zur Erinnerung für Herrn Brüderle, das Recht der Koalitionen, Tarifverträge mit normativer Wirkung frei von staatlichen Eingriffen auszuhandeln. Klar, das Grundgesetz garantiert auch die Meinungsfreiheit (von der auch ein Minister Gebrauch machen darf), aber Brüderle geriert sich so als rechtschaffener Anwalt des kleinen Mannes. Doch diese Rolle spielen in unserem System die Gewerkschaften. Die haben nun nicht nur mit Arbeitgeberverbänden, drastischem Mitgliederschwund und sinkender Bedeutung zu kämpfen, sondern auch mit einem liberalen Wirtschaftsminister, der eifrig an dem schwächlichen Ast sägt, auf dem sie sitzen. Brüderle hat genügend andere Baustellen, an denen er die Spitzhacke gerne in die Hand nehmen darf, die Tarifautonomie darf er nicht mal mit Samthandschuhen anfassen.

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