Braunes Gold

Holz ist so teuer wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Für die Forstwirtschaft im Schwarzwald hat das gravierende Folgen. Dort sorgt zudem ein Nationalpark-Projekt für Aufregung.

 
 

Es gibt einen Ort, da kann man den Wald wachsen sehen. Am Rand von Freudenstadt im Schwarzwald hat das Forstamt einen Würfel aufgehängt: 41,9 Zentimeter Kantenlänge, etwas größer als ein Sprudelkasten. So viel Holz wächst im Freudenstädter Stadtwald - pro Minute. Nach viereinhalb Stunden hätten die Würfel gestapelt die Höhe des Freiburger Münsters erreicht. Nach einem halben Tag die Spitze des Berliner Fernsehturms.

Mit 3200 Hektar ist Freudenstadt der drittgrößte kommunale Waldbesitzer in Baden-Württemberg. Die 23 500-Einwohnerstadt ist vom Wald umgeben. Und sie ist geprägt von der Forstwirtschaft: Rund 20 Sägewerke gibt es im Umkreis. Etliche Arbeitsplätze hängen am Holz. Nicht zuletzt ist der Wald eine lukrative Einnahmequelle für die Stadt. Vor allem jetzt, wo der Rundholzpreis so hoch ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

„Der Stadtwald trägt zu unserem Haushalt bis zu 500 000 Euro bei“, sagt Oberbürgermeister Julian Osswald. Auf den ersten Blick hört sich das wenig an. Doch das braune Gold bringt stolze Renditen: „Abzüglich aller Kosten bleiben uns beim Holzverkauf 56 Prozent der Erlöse als Gewinn“, so der OB.

Solch immense Margen sind möglich, weil frühere Generationen und die Natur den Grundstein gelegt haben. Der Fachmann spricht vom Wald-Reinertrag im Unterschied zum Boden-Reinertrag. „Viele Bäume wachsen über 100 Jahre. Würde man für die komplette Zeit Zinskosten ansetzen, wäre der Wald selbst bei den derzeitigen Rekordpreisen ein Verlustgeschäft“, sagt Professor Bastian Kaiser, Rektor der Hochschule für Forstwirtschaft in Rottenburg am Neckar. Rechnet man dagegen nur mit der bewaldeten Fläche als Grundlage, ist das Geschäft lukrativ.

Moderne Waldbesitzer setzen auf so genannte Plenterung. Dabei wachsen alte und junge Bäume nebeneinander. Statt ganze Flächen zu roden und wieder aufzuforsten fällt man einzelne Bäume.

„Der Ertrag ist kleiner, aber konstant“, erklärt der Freudenstädter Förster Peter Widenmeyer. Es ist Mittag und nur einzelne Sonnenstrahlen schaffen es durch die dichten Baumkronen auf den kühlen Waldboden. Äste knacken unter Widenmeyers festen Schritten. „Der hier ist als Nächster dran“, sagt er und zeigt auf einen Baum mit Farbanstrich. In seinem Revier wird nur so viel gefällt, wie nachwächst, betont der Förster. Acht bis neun Festmeter ergibt das pro Jahr und Hektar. Etwa drei große Bäume.

Landesweit ist die Quote höher. Baden-Württemberg hat knapp 1,4 Millionen Hektar Wald - eine Fläche fast so groß wie Thüringen. Jedes Jahr werden acht bis neun Millionen Festmeter Rundholz geerntet, im Winter mehr als im Sommer. Ein Festmeter entspricht einem Kubikmeter, nur eben in runder Form. Daraus lassen sich je nach Art etwa 0,6 Kubikmeter Sägeholz herstellen. „Festausbeute“ heißt das im Fachjargon.

Etwa jeder vierte Baum in Baden-Württemberg gehört dem Land. Wer Staatsholz haben will, ruft im Regierungspräsidium Tübingen an, Referat 83, Zentraler Holzverkauf und Zentrale Holzbereitstellung. Referatsleiter Hans-Joachim Hormel gilt unter Sägewerkern als knallharter Verhandlungspartner. Rund 2,5 Millionen Festmeter verkauft er jedes Jahr im Namen der Regierung. „Der Holzmarkt ist zunehmend ein Weltmarkt“, sagt Hormel.

Neben dem braunen Gold des Landes vermarktet sein Referat auch Holz für Kommunen und für private Eigentümer. Mit den Privaten sei es manchmal wie mit den Kleinanlegern an der Börse. Wenn Holz teuer ist, denken viele ans Verkaufen. Bis aber tatsächlich die Säge kreischt, ist der Markt schon wieder im Fallen. „Oft machen uns die privaten Waldbesitzer so den Preis kaputt.“

Längst vorbei sind die Zeiten, in denen das meiste Holz versteigert wurde. Heute schließen Waldbesitzer und Sägewerk Jahresverträge. Nach aktuellem Holzpreis wird vierteljährlich nachverhandelt. Solange sie von Stürmen und Ungeziefer verschont bleiben und die Wirtschaft brummt, sitzen die Waldbesitzer am längeren Hebel.

Den Sägewerken macht das begrenzte Angebot zu schaffen. Nach dem verheerenden Orkan Lothar, der 1999 mit mehr als 200 Stundenkilometern über den Schwarzwald fegte, hatten viele von ihnen ihre Kapazitäten deutlich ausgebaut. Lothar blies von heute auf morgen die dreifache Jahresmenge an Holz auf den Markt. Heute sind die Vorräte wieder knapp. In der baden-württembergischen Sägeindustrie herrscht massive Überkapazität: Experten beziffern sie auf das 2,5-fache.

„Die Lage ist schwierig“, sagt Klaus Henne, Chef des Sägewerks Streit im badischen Hausach. Wegen des Wettbewerbs mit dem Ausland lasse sich der gestiegene Holzpreis kaum weitergeben. „Franzosen und Skandinavier kommen billiger an den Rohstoff. Sie zahlen niedrigere Energiepreise und haben geringere Transportkosten.“ Henne kritisiert, dass hierzulande nur Holztransporter mit 40 Tonnen zugelassen seien, während in Skandinavien 60-Tonner durch die Gegend fahren. Die Skandinavier, so Henne, bieten den Kubikmeter Schnittholz um zehn Prozent billiger an als ihre deutschen Wettbewerber.

Dem Sägewerk Streit bleibt der Standortvorteil in der Nähe wichtiger Märkte wie Frankreich oder Italien. Und die Größe: Mit einer verarbeiteten Menge von 350 000 Festmetern im Jahr zählt das Unternehmen zu den Schwergewichten im Südwesten. Gegenüber den vielen kleinen Betrieben ist Streit damit im Vorteil.

Etliche kleine Säger gehen am Stock oder haben bereits aufgegeben. Im mittelbadischen Renchtal etwa gingen seit der Jahrtausendwende in rund einem Dutzend Betrieben die Lichter aus.

Eine halbe Autostunde weiter kämpft Holger Rothfuss ums Überleben seiner Firma. Bei Wurster in Baiersbronn werden die Baumstämme noch mit Wasserkraft auf die Sägeanlage getrieben. Zehn Mitarbeiter verarbeiten knapp 15 000 Festmeter Holz im Jahr.

Es riecht hier nach frisch gesägtem Holz, doch Mitte August steht die Säge still. Betriebsferien. „Wir produzieren noch sehr traditionell und mit hohem Personalkostenanteil“, sagt Rothfuss. „Unser Problem sind die neuen Großsägewerke. Die tun uns richtig weh.“ An der Wand hängt, verrostet, eine alte Plakette der Schweizer Helvetia-Versicherung. Für einen Moment hat man den Eindruck, die Zeit sei stehen geblieben. In einer Epoche, in der ein kleines Sägewerk noch problemlos sein Geld verdiente. In der wenig Holz reichte um eine Menge Holz zu machen. Das war einmal.

Heute müsste er pro Festmeter 20 Prozent mehr Geld erlösen, um seine Kosten zu decken, sagt Holger Rothfuss. „Für ein bis zwei Jahre reichen die Rücklagen noch aus. Wenn sich bis dahin nichts ändert, dann war’s das eben.“

In Rothfuss’ Heimatort Baiersbronn, wo sonst alles im Schatten der bekannten Sterneküchen steht, ist Holz noch aus einem anderen Grund Gesprächsthema: Vor den Toren der kleinen Gemeinde will die neue Landesregierung einen Nationalpark ausweisen. Den ersten in Baden-Württemberg. 50 000 Festmeter könnten so bald nicht mehr geerntet werden. Auf den gesamten Einschlag hochgerechnet fällt die Menge nicht ins Gewicht. Dennoch gibt es Skeptiker.

Freudenstadts OB Osswald gilt in der Region schon als Anführer einer Gegenbewegung. „Den hiesigen Sägern tut jeder Festmeter weh“, sagt der CDU-Politiker. Außerdem fürchte er, dass die Fläche noch ausgeweitet wird wenn der Park einmal ausgewiesen ist. Unter Sägewerkern sorgt man sich indes um ein anderes Problem: In einem Nationalpark darf der Mensch den Borkenkäfer nicht mehr bekämpfen. Erfahrungen aus dem bayrischen Wald zeigten, dass dies zu einer Gefahr auch für umliegende Wälder werden kann.

Professor Kaiser von der Hochschule für Forstwirtschaft in Rottenburg bezweifelt, dass der bayrische Wald so einfach mit dem Nordschwarzwald vergleichbar ist: In der Eifel gebe es auch einen Nationalpark. „Und haben Sie von dort schon mal etwas über eine Borkenkäferplage gehört?“ Festgelegt, ob für oder gegen den Park, habe er sich aber noch nicht. Sein Professoren-Kollege Wolfgang Tzschupke wählt andere Worte: „Bei eingehenderer Betrachtung bleibt nicht erkennbar, welchen Mehrwert ein Nationalpark nachhaltig generieren könnte, der die (...) Nachteile aufwiegen würde.“

Ob Waldbesitzer oder Sägewerk, ob Handwerksschmiede oder Maschienenbau: Holz zählt zu den bedeutendsten Wirtschaftsfaktoren im Land. Laut Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz kommt die Branche in Baden-Württemberg auf 200 000 Beschäftigte und 31 Milliarden Euro Jahresumsatz. Maschinenbauer wie Bürkle oder Homag verdienen Millionen mit Apparaten, die Holzplatten aufeinander pressen, Kanten beschichten oder Profile bearbeiten. Von einem Holz-Cluster sprechen neudeutsch die Wirtschaftsförderer.

Eine immer bedeutendere Rolle spielt Holz als Baustoff. Nicht zuletzt, weil ökologisches Bauen schwer in Mode ist. „Holz ist ein CO2-Speicher“, sagt der Holzbauunternehmer Reinhard Frick. Der gelernte Zimmerer hat sich auf Einfamilienhäuser spezialisiert. Bis auf den Keller und die Dachziegel bestehen sie komplett aus Holz. Knapp 90 Kubikmeter verarbeitet Frick mit seiner Firma Die Werkstatt in einem Haus. Ein Eigenheim kostet etwa 400 000 Euro. Bis zu vier solcher Häuser baut Frick im Jahr. Der hohe Rohstoffpreis stört den 53-Jährigen nicht. „Meine Kunden entscheiden sich bewusst fürs Holzhaus“, sagt er.

Eher zählen Emotionen. Es gibt Tage, da fährt Frick mit den Bauherren gemeinsam in den Wald. Die neuen Bewohner wollen sehen, wo das Holz für ihr neues Haus wächst.

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